Rheinland-Pfälzer unter Stress: Krankenkassen schlagen Alarm

Mainz · Die Krankenkassen in Rheinland-Pfalz verzeichnen eine starke Zunahme psychischer Diagnosen. Jeder sechste Fehltag eines Arbeitnehmers sei darauf zurückzuführen. Gewerkschaften, Politiker und Unternehmen sind alarmiert.

Mainz. Stress im Job, wer kennt das nicht? Die Techniker Krankenkasse (TK) legt jetzt Zahlen vor, die aufhorchen lassen: Von 2006 bis 2012 hätten bei ihren erwerbstätigen Versicherten die Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund psychischer Störungen um 62 Prozent zugenommen. "Da ist es kaum überraschend, dass im gleichen Zeitraum auch 80 Prozent mehr Antidepressiva verordnet wurden", sagt Anneliese Bodemar, Leiterin der TK-Landesvertretung in Mainz.
Da kürzlich die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) ähnliche Daten präsentiert hat, diskutieren Experten über die Ursachen. "Jeder Mensch geht unterschiedlich mit Belastungen um", sagt Professor Wolfgang Schneider, Direktor der Uniklinik für Psychosomatik in Rostock. Er vertritt die These, dass die Schwelle, ab der eine psychische Krankheit diagnostiziert werde, gesunken sei. Menschen seien auch eher bereit, über ihre seelischen Probleme zu reden.
Medikamente für das Befinden


Ähnlich argumentiert Alfred Kappauf, Präsident der rheinland-pfälzischen Psychotherapeutenkammer: "Inzwischen ist der interessanteste Patient der besorgte Gesunde." Medikamente würden oft nur "zur Optimierung des Befindens genommen". Vieles spreche dafür, dass die Bevölkerung im Laufe der Zeit gesünder geworden sei.
Die zunehmenden Fehlzeiten im Job sind allerdings Fakt - mit gravierenden ökonomischen Folgen: Die ohnehin unter Fachkräftemangel leidenden Unternehmen müssen oft längere Zeit auf ihre Mitarbeiter verzichten, die TK spricht von im Schnitt zwölf Therapiesitzungen. Außerdem steigt die Zahl der Arbeitnehmer, die wegen psychischer Erkrankungen in Frührente gehen. 75 000 bundesweit waren es laut Psychotherapeutenkammer in Berlin im Jahr 2012. Im Durchschnitt waren sie 49 Jahre alt.
Die TK will der Entwicklung so begegnen: "Wir verstärken unser Angebot für Unternehmen und Mitarbeiter", sagt Anneliese Bodemar. Dabei werde versucht, niedrigschwellige Angebote wie Beratungen im Internet oder Gruppentherapien zu forcieren. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Trier hat eine Stelle für Gesundheitsmanagement eingerichtet. Ihr Hauptaugenmerk gilt der Fachkräftesicherung. Betriebe können sich etwa beraten lassen, wie sie Gesundheitstage oder -aktionen für ihre Mitarbeiter organisieren.
Die Gewerkschaften haben das Thema ebenfalls auf der Agenda, unterstreicht der DGB-Landesvorsitzende Dietmar Muscheid gegenüber dem TV. Das Arbeitsschutzgesetz sei im Juni 2013 vom Bundestag um das Thema psychische Belastungen erweitert worden. "Nun liegt die Herausforderung in der Umsetzung und Ausfüllung des gesetzlichen Rahmens, um die Beschäftigten vor Gefährdung durch psychische Belastungen in der Arbeitswelt umfassend zu schützen", sagt Muscheid. Der DGB werde den Prozess kritisch begleiten und Maßnahmen einfordern.
Wie der TV erfuhr, arbeitet der Beirat für Arbeitsschutz in Rheinland-Pfalz, dem Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbände angehören, an einer Empfehlung für Gesundheitsminister Alexander Schweitzer (SPD). Dieser betont: "Rheinland-Pfalz betrachtet die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit als eine wichtige Zukunftsaufgabe der Arbeitsmarktpolitik." Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen würden zum Beispiel vom Kompetenzzentrum "Zukunftsfähige Arbeit" unterstützt.
Schweitzer verrät dem Volksfreund, er werde Anpassungen des Arbeitsschutzrechts vorantreiben. So will er im Bundesrat die Aufnahme von Verhandlungen mit der Bundesregierung über eine Anti-Stressverordnung initiieren. "Bisher gibt es nur verpflichtende Verordnungen zum Arbeitsschutz für Lärm oder Gefahrstoffe, nicht hingegen zur Prävention gegen psychische Fehlbelastungen", begründet er.

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