Richtungskämpfe

TRIER. Vor? Oder zurück? In welche Richtung wird die Uhr am Sonntag umgestellt? Könnte man sich das doch ein für allemal merken! Kann man. Ganz einfach sogar. Wenn man diesen Artikel liest. Schwierig wird es allerdings bei einer anderen Frage: Macht die Umstellung überhaupt Sinn?

Denken Sie an Ihre Gartenmöbel. Die stellen Sie im Frühling vor das Haus. Und im Herbst zurück. Genauso ist es mit der Uhr. Es lebe die Eselsbrücke! Nieder mit der all-halbjährlichen Grübelei über das Vor oder Zurück des kleinen Zeigers! Sie befällt die meisten von uns seit 1980, als Deutschland die Sommerzeit wieder einführte: Am letzten Märzwochende wird die Uhr um eine Stunde vorgestellt, am letzten Oktoberwochenende eine Stunde zurück.Fröstelnde Bürger vereiteln Regierungspläne

Die Idee: Wenn es abends länger hell ist, spart man Energie fürs Licht. Doch diese Rechnung hatte man ohne die Frostbeulen von Bürgern gemacht. Denn was abends beim Licht reingeholt wird, geht morgens für die Heizung drauf. Selbst bei Greenpeace sieht man das so. Während das Umstellen der Gartenmöbel als relativ unkompliziert gilt, ist es bei der Uhr nicht so einfach. Zum Beispiel für den Fernverkehr. Im Herbst stehen die Züge eine Stunde lang auf den Gleisen herum, im Frühjahr sind die Anschlüsse weg. Oder für die armen Kinder, die am letzten Oktobersonntag zwischen zwei und drei Uhr zur Welt kommen. Weil diese Stunde zwei Mal existiert, müssen sie ihr Leben lang erklären, warum es in ihrer Geburtsurkunde 2.17A Uhr oder 2.53B Uhr heißt. Vor allem aber für den Biorhythmus ist die Zeitumstellung problematisch. Denn die innere Uhr tickt nicht mehr richtig. Bis zu 14 Tagen braucht der Körper, um das Mini-Jetlag zu verwinden. Kühe geben weniger Milch, Hühner legen weniger Eier, Menschen leiden an Schlaflosigkeit, depressiven Verstimmungen, Gereiztheit und Konzentrationsschwäche. Naja, manche zumindest. Die Wartezimmer sind in dieser Phase besonders voll, und es passieren mehr Unfälle als sonst. Alles untersucht, alles erwiesen. Doch ist das nicht Kinderkram gegen die Stunde, die es länger hell ist? Jeden Abend, sieben Monate lang! Eine Stunde mehr in den Gartenmöbeln vor dem Haus, zum Spazierengehen oder Radfahren. Und fielen nicht auch Grillfete oder Biergarten-Besuch deutlich kürzer aus, wenn es eine Stunde früher dunkel würde? Drei Viertel aller Deutschen haben deshalb nichts gegen die Sommerzeit einzuwenden. Hatten. Denn diese Zahl des Bundesinnenministeriums ist acht Jahre alt. Und da gab es die "Initiative Sonnenzeit", der wohl bedeutendste Zusammenschluss deutscher Sommerzeit-Gegner, noch nicht. Seither dürfte sich das Meinungsbild radikal gewandelt haben. Denn Fernverkehr, Biorhythmus & Co. sind nichts gegen die Argumente der Sonnenzeitler: Die Regierung greife mit der Zeitumstellung in den Tagesablauf der Bürger ein, schimpfen sie, und das sei eine unverschämte Entmündigung. Wer dennoch auf der zusätzlichen Stunde Tageslicht am Abend beharrt, dem erklären sie auch gleich, warum: weil er als Kind erniedrigt wurde und die Einmischung der Regierung in sein Privatleben als gewohnte Erfahrung betrachte. Welch ein Luxus, sich mit solchen Problemen beschäftigen zu dürfen! Da bleibt nur eins zu wünschen: eine schöne Sommerzeit! Und am Sonntag nicht zu viel ärgern - im Herbst wird die Uhr ja wieder umgestellt. In welche Richtung? Lassen Sie Ihren Liegestuhl im Winter etwa draußen stehen?

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort