Risse in der Fassade eines Ehrenmannes

WASHINGTON/NEW YORK. Immer mehr schwarzeFlecken auf der vormals weißen Weste von UN-Generalsekretär Kofi Annan: Erstmals protestiert nun auch die Belegschaft der Vereinten Nationen gegen die Machenschaften auf der Chefetage.

Seine Worte sind wohlgewählt, seine Auftritte strahlen Ruhe und moralische Autorität aus. Seit Dezember 1996 steht Kofi Annan als Generalsekretär den Vereinten Nationen vor - eine Rolle, die er nach Ansicht des Friedensnobelpreis-Komitees so gut ausfüllte, dass er dafür im Jahr 2001 mit der prestigeträchtigen Ehrung ausgezeichnet wurde. Doch die Fassade eines Ehrenmannes ohne Fehl und Tadel hat in der letzten Zeit immer mehr Risse bekommen. Die Hilflosigkeit der Vereinten Nationen angesichts des Massenmordes in Somalia, die Verwicklung führender UN-Mitarbeiter in den "Öl-für-Lebensmittel"-Skandal im Irak - und nun ein historischer Schuss vor den Bug im eigenen Haus: Denn erstmals in der 60-jährigen Geschichte der Weltorganisation verabschiedete die Mitarbeiter-Gewerkschaft der UN eine Resolution, die das Topmanagement scharf kritisiert und mehr Transparenz fordert. Aktueller Auslöser der beispiellosen Revolte auf den Fluren der Weltorganisation mit Hauptsitz New York war die Entscheidung Annans, sich hinter den obersten Personalchef der Behörde zu stellen, dem von Mitarbeitern die Begünstigung von Freunden und Verwandten sowie sexuelle Belästigung vorgeworfen worden war. Annan hatte in der vergangenen Woche durch seinen Sprecher Fred Eckhard betonen lassen, er habe "volles Vertrauen" in Dileep Nair, den in Singapur geborenen Abteilungsleiter. In einem vertraulichen Schreiben, das jetzt bekannt wurde, hatte Annan jedoch gleichzeitig den ins Kreuzfeuer geratenen Mann angewiesen, "vorsichtiger vorzugehen, um negative Schlagzeilen zu minimieren." Für Guy Candusso, im Betriebsrat der UN-Mitarbeiter einer der Wortführer, steht damit fest, dass es Fehlverhalten gegeben hat, Kofi Annan aber zu Konsequenzen unfähig oder unwillens sei. Das Vertrauen in die Vorgesetzten sei "sehr gering", wird Gewerkschafts-Präsidentin Rosemarie Waters zitiert. Die erste Misstrauens-Verlautbarung von Untergebenen gegenüber der Chefetage seit Gründung der Weltorganisation kommt für Annan zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Denn nach neuen Fakten, die auf im Irak gefundenen Dokumenten des Saddam Hussein-Regimes beruhen, wird der Skandal um das "Öl-für-Lebensmittel"-Programm zu einem immer größeren schwarzen Fleck auf der bisher vermeintlich weißen Weste des Friedensnobelpreis-Trägers. Nach bisherigen Erkenntnissen hat sich der gestürzte Diktator rund 21 Milliarden US-Dollar aus Öl-Erlösen in die eigene Tasche gesteckt. Er nutzte diese Gelder für den Bau von Palästen, Waffenkäufe und die Bestechung von 270 ausländischen Entscheidungsträgern.Privates Öl und zwielichtige Transaktionen

So weisen Unterlagen im Besitz des US-Kongresses darauf hin, dass ausgerechnet der UN-Oberaufseher des "Öl-für-Lebensmittel"-Programms und enge Annan-Mitarbeiter Benon Sevan von Saddam Hussein mit einem privaten Öl-Kontingent zum Sonderpreis bedacht wurde. Dieses konnte der UN-Offizielle auf dem Markt mit einem Millionengewinn weiterverkaufen. Nachdem diese Begünstigung erstmals ruchbar geworden waren, versetzte Annan den Zyprioten Sevan im November 2003 in den Ruhestand, um ihn aus der Schusslinie zu nehmen. Bis heute weigert sich die UN-Führung, die Ermittlungen des US-Kongresses mit weiteren Dokumenten zu unterstützen und die Immunität von UN-Mitarbeitern aufzuheben, um deren Befragung und Strafverfolgung zu ermöglichen. Auch Annans Sohn Kojo scheint an den zwielichtigen Transaktionen mitverdient zu haben: Er arbeitete zunächst direkt, später dann als "Consultant" für die Schweizer Firma Cotecna, die als alleiniger Vertragspartner der Uno die Abwicklung des "Öl-für-Lebensmittel" überwachen sollte. Ein UN-Sprecher erklärte zu dieser Vater-Sohn-Verbindung, die Tätigkeit von Kojo Annan sein zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe an die Cotecna im UN-Hauptquartier nicht bekannt gewesen - eine Erklärung, die wenig überzeugend klingt. Doch Kofi Annan scheint entschlossen, trotz der Negativ-Schlagzeilen und der Misstrauens-Resolution durchzuhalten. Während einer Afrika-Reise ließ er erklären, er habe vor, seine Arbeit bis zum Ende der Amtszeit im Jahr 2006 fortzusetzen.

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