Rücken zur Wand, Blick nach vorn
NEW YORK. Bloß nicht andeuten, dass es sich um einen Canossagang handelt - und den Blick nach vorn richten: So lautete die Devise des mit dem Rücken zur Wand stehenden amerikansichen Präsidenten George W. Bush bei seiner Rede vor der Uno am Dienstag.
Der Tag seines mit Spannung erwarteten UN-Auftritts begann für US-Präsident George W. Bush mit zwei Hiobsbotschaften. Während der morgendlichen Lagebesprechung in der Suite des noblen "Waldorf Astoria"-Hotels im Herzen New Yorks melden die Nachrichtenagenturen das Ergebnis zweier Umfragen: Wäre heute Wahltag, würde der demokratische Präsidentschaftskandidat und frühere Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark Bush knapp schlagen. Und: Bereits 48 Prozent der US-Bürger halten den Irak-Krieg für nicht gerechtfertigt - eine Zahl, die die wachsende Kritik in den USA am außenpolitischen Kurs des Texaners widerspiegelt. Kofi Annans Kritik lässt Bush unberührt
So tritt dann wenig später ein an allen Fronten in die Defensive geratener Präsident vor eine UN-Generalversammlung, die von US-Regierungsmitgliedern noch zu Jahresbeginn als "Debattierklub" belächelt wurde. Die schneidende Kritik von Kofi Annan, der zuvor am Rednerpult in ungewöhnlich deutlichen Worten vor jedweder präventiver Gewaltanwendung ohne UN-Mandat gewarnt hat und durch das amerikanische Verhalten die gesamte kollektive Handlungsstruktur der Vereinten Nationen gefährdet sieht, lässt Bush offenbar weitgehend unberührt. Für ihn lautet, das wird zu Beginn seiner Ansprache schnell deutlich, nun die Devise: Bloß nicht andeuten, dass es sich um einen Canossagang handelt - und den Blick nach vorn richten. So wiederholt Bush die weltweit angezweifelten und bis heute nicht schlüssig bewiesenen Kriegsbegründungen, unterstellt dem weiter flüchtigen Saddam Hussein, Beziehungen zu Terroristen kultiviert und Massen-Vernichtungswaffen gebaut zu haben. Dazu gibt es gleich noch zusätzliche Rechtfertigungsversuche: Auch die Entdeckung von Massengräbern, Folterkammern und Vergewaltigungsräumen zeige, dass ein militärisches Vorgehen angemessen und vertretbar gewesen sei. Und die Anschläge gegen UN-Einrichtungen im Irak beweisen nach Bushs Ansicht nun, dass man heute beim Kampf gegen den Terror in einem Boot sitze. Die sich dann anschließende Bitte an die UN-Mitgliedsstaaten, die USA beim Wiederaufbau des Irak zu unterstützen und die Kontroversen der Vergangenheit beiseite zu legen, hatte der US-Präsident am Vortag bereits durch Gesten der Versöhnungsbereitschafteingeleitet. Davon profitierte auch Gerhard Schröder, der sich heute in New York zum Frühstück mit Bush treffen wird und am Montagabend aus dem US-Fernsehen erfahren konnte, dass der Texaner durchaus Verständnis für die deutschen Vorbehalte habe: Schröder habe schließlich im Wahlkampf gesteckt, und die Deutschen seien aufgrund ihrer Vergangenheit Pazifisten, die in Saddam Hussein nicht einen so "bösen Menschen" gesehen hätten. "Man kann nicht immer nur fordern"
Doch trotz dieser unerwarteten Freundlichkeiten, die als klares Indiz für ein Ende der transatlantischen "Eiszeit" gesehen werden, zeigte sich Bush auch gestern unnachgiebig, was eine schnelle Machtübergabe im Irak und eine Mitsprache der Uno angeht. "Dieser Prozess muss sich an den Bedürfnissen der Iraker orientieren und darf nicht durch die Wünsche anderer verzögert oder überstürzt werden." Das war ein deutlicher Hinweis an Paris und Berlin, dass man Forderungen nach einer Beschleunigung der Macht-Transformation nicht zustimmen werde. Damit sind die Verhandlungspositionen für das nun anstehende Ringen hinter den Kulissen der Vereinten Nationen klar abgesteckt. Doch innenpolitisch stößt dieses Beharren Bushs auf Kernpositionen immer mehr auf Widerspruch. US-Senator Edward Kennedy, einer der lautstärksten Kritiker der derzeitigen US-Außenpolitik, fasste gestern nach der Rede Bushs seine Bedenken in einem Satz zusammen: "Man kann nicht nur immer fordern, ohne etwas geben zu wollen."