Russischer Starregisseur Serebrennikow festgenommen

Moskau · Was in Russland im Zeugenstand beginnt, endet nicht selten auf der Anklagebank. So erging es auch Russlands gefeiertem Regisseur Kirill Serebrennikow. Am Dienstag nahm Moskaus Ermittlungsbehörde den 47-jährigen homosexuellen Theaterschaffenden in Gewahrsam.

Der russische Theatermacher Serebrennikow ist unter Betrugsverdacht festgenommen worden. Das teilte das Staatliche Ermittlungskomitee am Dienstag in Moskau mit. Schon seit Mai hielten die Behörden seinen Pass fest. Im September sollte er in Stuttgart die Märchenoper „Hänsel und Gretel“ inszenieren.

Der Leiter des Moskauer Gogol-Theaters steht im Verdacht, zwischen 2011 und 2014 staatliche Gelder von 68 Millionen Rubel (etwa eine Million Euro) veruntreut zu haben. Die Gelder waren vor allem für die "Plattform" bestimmt, eine experimentelle Werkstatt, die 2011 unter Leitung des Regisseurs ins Leben gerufen wurde. Wirklich überrascht haben dürfte die Inhaftierung den bekanntesten zeitgenössischen Regisseur Russlands jedoch nicht. Serebrennikow wurde in Sankt Petersburg festgenommen, wo er gerade einen Film über die sowjetische Poplegende Victor Zoi dreht. Wer in den Zeugenstand der russischen Justiz gerät, wird zunächst auf individuelle Widerstandskraft getestet. Dann wird er den Mühlen des Unrechtssystems übergeben. Erste Untersuchungen der Ermittlungsbehörde fanden bereits im Mai statt.

Ein früherer Direktor des von Serebrennikow gegründeten Gogol-Zentrums, eine Buchhalterin und ein Leiter der Bühne "Studio sieben" wurden damals festgesetzt. Alle Beteiligten bestritten zunächst, an finanziellen Machenschaften beteiligt gewesen zu sein. Am 9. August - nach drei Monaten U-Haft - sagte die Buchhalterin Nina Maslajewa unterdessen gegen Serebrennikow und die beiden mitangeklagten Kollegen vor dem Moskauer Stadtgericht aus. Demnach hätte sie auf Geheiß ein System ausgearbeitet, um Mittel aus dem "Plattform"-Projekt umzuleiten. Sie bekannte sich in vollem Umfang für schuldig und sagte zu, mit der Staatsanwaltschaft zusammenzuarbeiten. Bewiesen ist unterdessen nichts.

Vielmehr gibt im Zusammenhang mit der Veruntreuung ein anderer Fall zu denken. Das Theater soll staatliche Gelder für eine Aufführung von Shakespears "Sommernachtstraum" auch unterschlagen haben. Dass das Stück dutzendmal in Moskau gezeigt wurde, Kritiken in Zeitungen erschienen und die Truppe auf Festivals im Ausland gastierte, reichte den Klägern nicht. Rezensionen und Videoclips ließen sich bestellen, meinten die Fahnder. Existent ist nur, was die Behörde als solches auch anerkennt. Das könnte aus der Feder Nikolai Gogols stammen, der dem Zentrum den Namen verlieh und als einer der ersten Schriftsteller die häufige Kongruenz von Realsatire und Wirklichkeit im Russland des 19. Jahrhunderts beschrieb.

Bereits im Vorfeld war dem Regisseur der Auslandspass abgenommen worden. Er sollte einer "Expertise" unterzogen werden, hieß es offiziell. Ohne Pass kann Serebrennikow Verpflichtungen an Auslandsbühnen nicht nachkommen. Premieren in Stuttgart, Berlin und in Zürich standen auf dem Programm. Wer und was hinter der Hatz auf den Theaterschaffenden steckt, gibt Rätsel auf. Präsident Wladimir Putin verurteilte die ersten Schritte gegen den Star. Die Drahtzieher bezeichnete er als "Idioten". Selbst Parteigänger Putins aus der Welt der Kunst setzten sich für Serebrennikow ein.

Angeblich sei es Kulturminister Medinsky gewesen, der im Juli Serebrennikows Ballett über den russischen Startänzer "Nurejew" aus dem Programm des Bolschoi-Theaters streichen ließ. Nurejew war ein bekennender Schwuler. Auch die orthodoxe Kirche könnte ein Machtwort gesprochen haben. Trotz Gleichschritt ist es unübersichtlich geworden in Russland.

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