Russlands Raketen rufen Nato auf den Plan

Brüssel · Russlands Eingreifen in den Syrien-Konflikt beunruhigt die Nato: Dabei soll ein russisches Jagdflugzeug auch die türkische Grenze missachtet und türkische Jets mit dem Laser erfasst haben. Das Verteidigungsbündnis denkt nun über Aufrüstung im Süden nach. Eine Strategie gegen Putins Krieg hat die Nato aber nicht.

Brüssel. Russland setzt seine Syrien-Offensive fort: Am Wochenende waren bereits russische Kampfflugzeugein den Luftraum des Mitgliedlandes Türkei eingedrungen, Moskaus Bodentruppen helfen in Syrien nun aktiv dem Regime von Bashar al-Assad (siehe Extra). Das transatlantische Bündnis Nato versucht nun seinerseits, Stärke zu demonstrieren: "Die Nato steht bereit, alle Verbündeten gegen alle Bedrohungen zu beschützen und zu verteidigen", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach einem Verteidigungsministertreffen in Brüssel, "und das gilt auch für die Türkei".
Die verstärkte schnelle Eingreiftruppe mit einer Stärke von bis zu 40 000 Mann, die als Reaktion auf den Ukraine-Krieg und die Sorgen der osteuropäischen Allianzmitglieder auf den Weg gebracht worden war und am Donnerstag von den Ministern den abschließenden Segen bekam, könnte Stoltenberg zufolge auch die türkische Grenze zu Syrien sichern: "Wir sind bereit, Truppen nach Osten oder nach Süden zu verlegen."
Die Minister beschlossen dem norwegischen Nato-Chef zufolge auch, in den kommenden Wochen und Monaten zu überlegen, "wie wir die Türkei zusätzlich unterstützen können". Mit den Planungen wurde nach Angaben aus Diplomatenkreisen nun der Militärstab der Allianz beauftragt. Allerdings erinnerte der Generalsekretär daran, dass Ankara selbst die zweitgrößte Armee in der Allianz befehlige, die Türkei also auch schon jetzt keineswegs hilflos sei.
Auf die Frage danach, ob der geplante Abzug der deutschen wie amerikanischen Patriot-Raketenabwehrsysteme von der türkisch-syrischen Grenze gerade jetzt sinnvoll sei, reagierte Stoltenberg ausweichend. Es gehe nun um "andere Herausforderungen". Auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wies die in der Sitzung von der türkischen Regierung geäußerte Bitte um eine Mandatsverlängerung mit ähnlicher Begründung zurück: "Es ist die Frage, welche Gefahr wie gebannt werden kann, und in diesem Kontext ist diese Entscheidung richtig." Im August hatte die Bundesregierung beschlossen, die Batterien nächste Woche außer Betrieb zu nehmen. Ab Januar wäre dann nur noch ein spanisches System in der Türkei stationiert.
In der Allianz herrscht Stoltenberg zufolge dennoch große Besorgnis, dass die Lage in und um Syrien weiter eskalieren könne - vor allem weil die Luftraumverletzungen vom Wochenende "kein Versehen" darstellten. Mindestens ein russisches Jagdflugzeug hat dabei nach Nato-Lesart nicht nur die Grenze missachtet, sondern auch türkische Jets mit dem Laser als Ziel erfasst. Militärs zufolge ist das trotz der zunehmenden Konfrontationen im internationalen Luftraum über der Nord- und Ostsee ein bisher einmaliger Vorgang. Im Nato-Hauptquartier herrscht die Ansicht vor, nur die besonnene Reaktion der türkischen Seite habe Schlimmeres verhindert.
US-Verteidigungsminister Ashton Carter bestätigte am Donnerstag in Brüssel, dass zwischenzeitlich der amerikanische Generalstab mit dem russischen in Kontakt ist, damit sich die US-geführte Koalition gegen die Dschihadisten des Islamischen Staates und Russlands Luftwaffe nicht ins Gehege kommen. Mehr als Schadensbegrenzung wird damit aber nicht betrieben, wie sich aus den Äußerungen des amerikanischen Nato-Botschafters schließen lässt.
"Wir haben keine Strategie"


"Das verkompliziert auf dramatische Weise die humanitäre Situation", sagte Douglas Lute im Hinblick darauf, dass die von Russland unterstützte Offensive des Assad-Regimes bisher relativ ruhige Gebiete der gemäßigten syrischen Opposition betrifft, "es verkompliziert aber auch die militärische Lage und vor allem die politische Lage". Stoltenberg rief Russland dazu auf, "eine konstruktive Rolle" bei der Suche nach einer Friedenslösung für Syrien zu spielen.
Mehr als Appelle an den Kremlchef Wladimir Putin zu richten, kann die Nato aber offensichtlich nicht. "Wir haben keine wirkliche Strategie, wie wir mit Russlands Verhalten umgehen", räumt ein Nato-Diplomat hinter vorgehaltener Hand ein: "Putin versucht ziemlich erfolgreich, Russland wieder als Großmacht zu etablieren - und wir können ihm nur hinterherlaufen." Das demonstrative Bekenntnis, die Türkei um jeden Preis zu verteidigen, sei nur eine Ersatzhandlung, weil für Syrien jeder Plan fehle, so der Diplomat: "Ich bin da ziemlich pessimistisch."Extra

Russische Jets haben am Donnerstag die syrischen Rebellen in den Provinzen Hama und Idlib angegriffen, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete. Dort hatte Syriens Armee am Vortag mit russischer Luftunterstützung eine Bodenoffensive gegen moderate und radikale Regimegegner begonnen, zu denen auch die Nusra-Front gehört, ein syrischer Ableger von Al Kaida. IS-Stellungen gibt es in dem Gebiet nicht. Die Rebellen bedrohen von hier aus die Küstenebene um die Stadt Latakia, eine der wichtigsten Hochburgen des Assad-Regimes. Syriens Generalstabschef Ali Abdullah Ajub erklärte gestern nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Sana, ein Großangriff habe begonnen. Russlands Luftangriffe hätten die Kampfkraft des IS und "anderer terroristischer Gruppen" geschwächt. Assads Truppen werden bei der Offensive von Kämpfern aus dem Iran und der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah unterstützt. dpa

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