"Russlands Reaktion wird als Wunder empfunden"

Der Tod des polnischen Präsidenten könnte die Beziehung zwischen den Nachbarländern verbessern. Das meint Angelica Schwall-Düren, Vorsitzende der deutsch-polnischen Gesellschaften.

Berlin. (wk) An diesem Wochenende war Angelica Schwall-Düren (Foto: privat) ständig in Telefon-Kontakt mit ihren Freunden in Warschau. Der Schock über den Flugzeugabsturz von Smolensk sitzt auch bei der Vorsitzenden des Bundesverbandes der deutsch-polnischen Gesellschaften tief. Mit der 61-jährigen SPD-Abgeordneten sprach unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff über die politischen Folgen des Unglücks.

Wie empfinden die Polen dieses Ereignis: Einfach nur als Unglück oder als nationalen Schicksalsschlag?

Schwall-Düren: Es wird als eine regelrechte Tragödie empfunden. Denn hier ist eine große Gruppe von wichtigen Menschen aus Politik und Gesellschaft des Landes mit einem Schlag ums Leben gekommen, und das ganz in der Nähe von Katyn. Jenem Ort also, wo der sowjetische Geheimdienst im Zweiten Weltkrieg über 20 000 polnische Offiziere und Intellektuelle ermordet hat.

Man könnte leicht denken, dass das Schicksal offenbar nicht will, dass sich Russland und Polen an diesem Ort wieder versöhnen.

Schwall-Düren: Ichhabe von polnischen Freunden erfahren, dass gerade die russische Reaktion auf den Absturz in Polen fast schon als Wunder empfunden wird. Als Zeichen, dass aus diesem schrecklichen Unfall sogar etwas Neues wachsen kann. Russland wird heute Staatstrauer anordnen, was es für ausländische Opfer eines Unglücksfalles noch nie gegeben hat. Und es wird den Film über Katyn des polnischen Regisseurs Andrzej Wajda erstmals im Fernsehen zeigen, zur besten Sendezeit.

Wie haben Sie selbst empfunden, als Sie die Nachricht hörten?

Schwall-Düren: Ich bin bestürzt und es geht mir nahe, wie sehr unsere polnischen Freunde davon betroffen sind.

Obwohl Sie den National-Konservativen Lech Kaczynski politisch nicht gerade gemocht haben?

Schwall-Düren: Das ist richtig, spielt aber jetzt keine Rolle.

Welche innenpolitischen Folgen hat der Flugzeugabsturz?

Schwall-Düren: In Polen ist der Schock noch viel zu groß, als dass dort schon darüber viel nachgedacht würde. Es wird nun in etwa 70 Tagen vorgezogene Neuwahlen für den Staatspräsidenten geben.

Rechnen Sie damit, dass der Zwillingsbruder von Lech Kaczynski, Jaroslaw, dann antritt? Das zuletzt geschwächte national-konservative Lager könnte auf einen Mitleidseffekt setzen.

Schwall-Düren: Ich will nicht ausschließen, dass er kandidiert. Im Moment sind die Polen sehr zusammengerückt, über die politischen Lager hinweg. Wenn es dann aber wieder um die Fragen der politischen Auseinandersetzung geht, wird möglicherweise eher entscheidend sein, wie die Kandidaten die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern sehen. Eine Mehrheit der Polen will, dass das Land in der EU eine gute und wichtige Rolle spielt und auch die Aussöhnung mit Russland weiter voranbringt.

Was erwarten die Menschen jetzt von der deutschen Regierung?

Schwall-Düren: Es wird wichtig sein, dass wir ebenfalls in den nächsten Tagen die richtigen Gesten finden, um unsere Solidarität mit unseren Nachbarn zu zeigen. Daneben muss es darum gehen, die verbesserten Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern und Völkern im Konkreten weiter zu intensivieren.

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