Schäubles Manko

Eigentlich muss man Wolfgang Schäuble ja für sein Geschick gratulieren: Je lauter der Koalitionspartner SPD jetzt gegen seine Anti-Terror-Politik brüllt, desto stärker wird der Innenminister in der Rolle wahrgenommen, die er aus Sicht der Union und aus dem eigenen Selbstverständnis heraus auszufüllen hat: Schäuble hat die strukturkonservative Flanke in der Gesellschaft abzudecken; er zielt auf die Klientel, die in einem immer stärkeren und abwehrbereiten Staat nicht eine massive Gefahr, sondern eher einen Garanten für Freiheitsrechte sieht.

Das sind einige in diesem Land. Hinter den markigen Worten und forschen Ideen des Baden-Württembergers verbirgt sich somit weniger der Wille, den Menschen unter das Big-Brother-Diktat Orwell'scher Kategorie zu stellen. Schäuble ist kein Fantast. Auch er steht für die Prinzipien des Rechtsstaates. Doch der Mann ist ein mit allen Wassern gewaschener Politprofi, der in diesem Fall eine einfache Rechnung aufmacht: Wahlen gewinnt der, von dem der Bürger glaubt, dass bei ihm die Innere Sicherheit in den besten Händen ist. Was Schäuble macht, ist kalkulierte, aber ebenso berechenbare Politik, fußend auf bewussten Tabubrüchen zur Profilierung. Schon SPD-Vorgänger Otto Schily hat darum gewusst, weshalb der damalige Kanzler Gerhard Schröder von seinem roten Sheriff nicht lassen wollte. Wie einst Schily muss nun Schäuble damit leben, dass ihn der Ruf des "Besessenen" verfolgt, dem im Anti-Terror-Kampf alles recht und billig ist. Das ist die Quittung. Der Mann will Fingerabdrücke auf Vorrat speichern, entführte Flugzeuge abschießen lassen, die Bundeswehr zur Hilfspolizei machen und private Computer ausspionieren. Ein Feuerwerk von Ideen, teilweise auch von absurden. Wobei seine Jüngste, die Unschuldsvermutung auf den Prüfstand zu stellen, durchaus differenziert betrachtet werden kann: Wer beim Zoll seine Tasche öffnet oder bei der Fahrzeugkontrolle ins Röhrchen pustet, für den gilt die Unschuldsvermutung auch nicht. Das ist Prävention. Schäuble hat also das angesprochen, was polizeilich vielfach die Praxis ist. Aber er hat wie so oft die falschen, verkürzenden Worte benutzt. Und man darf unterstellen: durchaus mit Absicht. Stets suggeriert er, Deutschland falle von einer Sicherheitslücke in die andere. Das ist Unsinn. Darin lauert aber die größte Gefahr für den Innenminister: Sein Manko ist, dass es ihm nur selten gelingt, den Sinn seiner Vorstöße überzeugend und plausibel zu erläutern. Schily argumentierte mit Verve, mit dem Blick aufs große Ganze. Schäuble verliert sich in eigener Vorschlagshektik. Irgendwann könnte er dies bereuen. Zum Beispiel, wenn die Debatte über einen zukünftigen Bundespräsidenten neu belebt werden sollte. Außerdem lässt Schäuble ein weiteres außer Acht: Aus parteipolitischer Sicht verprellt er die immer wichtiger werdenden Wähler des städtischen, vielfach liberalen und alternativen Milieus, bei denen die Union schon bei der letzten Bundestagswahl nicht punkten konnte. Mit einer Innenpolitik nach dem Hauruck- und Haudrauf-Verfahren ist diese Klientel jedenfalls nicht zu ködern. nachrichten.red@volksfreund.de

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