Schatten über Berlin

Die CSU ist scheinbar von der Lust auf den eigenen Niedergang beseelt. Anders lässt sich kaum deuten, dass Edmund Stoiber eine Art Galgenfrist im Führungsdrama der bayerischen Staatspartei eingeräumt wurde.

So gewinnt er Zeit, was auch für seine Gegner einen gewissen Charme besitzt, weil man sich nicht so schnell auf einen Königsmörder einigen kann. Stoiber fällt jetzt also langsamer. Damit verlängert er nicht nur die Leiden seiner Partei. Der christsoziale Schatten fällt auch auf die große Koalition in Berlin. Mit Horst Seehofer wurde bereits ein Bundesminister nachhaltig geschwächt. Die gezielt gestreuten Berichte über seine angeblich jahrelange außereheliche Beziehung sind mehr als nur ein Kolateralschaden in der Schlammschlacht südlich des Weißwurstäquators. Die scheinheilig betriebene Demontage Seehofers kann sogar einen personellen Ersatz am Berliner Kabinettstisch notwendig machen. Politische Narben dürften auf jeden Fall bleiben. Für das ausbalancierte Kräfteverhältnis zwischen Union und SPD ist das kein gutes Vorzeichen. Mag Angela Merkel das bayerische Chaos auch mit einem lachenden Auge verfolgen. Weder Edmund Stoiber noch Horst Seehofer zählen zu ihren Freunden. Insofern kann sie mit deren Schwächung gut leben. Aber die Umfragen deuten bereits an, dass die CDU mit in den Strudel der CSU-Krise gerät. Wahlergebnisse von über 50 Prozent waren für die Christsozialen praktisch schon ein Naturgesetz. Aus dieser Stabilität schöpfte nicht nur die CSU ihre bundespolitische Bedeutung. Auch die CDU ist auf ihre bayerische Schwesterpartei angewiesen. Jeder fünfte Abgeordnete in der Bundestagsfraktion der Union kommt aus dem Freistaat. Würde das fatale Treiben der CSU nachhaltig beim bayerischen Wähler hängen bleiben, wäre es um eine künftige Kanzlerschaft der Union schlecht bestellt. Es ist die drohende Entzauberung der CSU, die Angela Merkel Sorgen bereiten muss. Mit einem gebeutelten Partner wird zudem ihr Regierungsalltag unberechenbarer. Staatspolitisch betrachtet kann das auch der SPD nicht gefallen. Doch aus der Schwäche Stoibers könnten die Sozialdemokraten unverhofft Kraft schöpfen. Den Genossen wäre es sicher recht, zöge sich das Drama noch über Monate hin. Schon die Aussicht auf einen Volksentscheid zur Auflösung des bayerischen Landtags klingt für ihre PR-Strategen verlockend. Einer gedeihlichen Politik an der Spree wird das kaum zuträglich sein. Die Bundesbürger können sich daher nur eines wünschen: Die CSU muss dem Stoiber-Schauspiel schnell ein Ende bereiten. Das jüngste Signal klingt anders, aber die politischen Hakenschläge in Bayern haben mittlerweile eine beachtliche Dynamik erreicht. Die jüngste Ergebenheitsadresse der Landtagsfraktion muss nicht das letzte Wort gewesen sein. Für das Klima in der großen Koalition wäre es besser, Stoiber ginge in den verdienten Ruhestand. nachrichten.red@volksfreund.de

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