Scheinheilige Sorge

Wie haben sie getönt, die Fußball-Gewaltigen, als sie das Ticketing-System für die WM 2006 vorstellten. Gerechtigkeit bringe die Verteilung, weltweit gleiche Chancen per Internet, und Schwarzmarkt-resistent sei das Modell auch.

Wie haben sie getönt, die Fußball-Gewaltigen, als sie das Ticketing-System für die WM 2006 vorstellten. Gerechtigkeit bringe die Verteilung, weltweit gleiche Chancen per Internet, und Schwarzmarkt-resistent sei das Modell auch. Ach ja. Mit jeder Verteilungswelle wird deutlich, dass nur ein einziger Gedanke beim Verlosungs-Modell Pate gestanden hat: Wie holt man aus einer naturgemäß begrenzten Zahl von Tickets möglichst viel Kohle heraus. Deshalb die Verlosung, deshalb die datenschutzrechtlich höchst bedenkliche Namensbindung beim Verkauf. Denn hätte man Tickets wie in den letzten hundert Jahren durch Anstehen an der Kasse erwerben und nach Belieben weitergeben können, warum hätten dann Sponsoren, Unternehmen, solvente Fans ein riesiges Ticket-Kontingent zum vielfachen Preis kaufen sollen? Man kann es Abzocke nennen, man kann es auch als gesunden Geschäftssinn einstufen – denn auch Fußball ist anno 2005 primär ein Geschäft. Aber dann bitte kein heuchlerisches Getue, keine scheinheilige Sorge um die "echten Fans", die als Staffage im Stadion derzeit leider noch gebraucht werden. Mitleid mit der Fifa und dem Organisationskomitee ist jedenfalls nicht angebracht, wenn ihnen jetzt der durch künstliche Verknappung selbst provozierte Schwarzmarkt um die Ohren fliegt. Erleichterte legale Weitergabe und Tausch wäre der vernünftigste Weg, aber da werden die Geldgeber und Rechte-Inhaber, die von der jetzigen Regelung profitieren, noch ein Wörtchen mitreden. Die "echten Fußball-Fans" aber werden das sich anbahnende Chaos in aller Ruhe auf sich zukommen lassen und beizeiten zusehen, wie sie doch an ihr Ticket und ins Stadion kommen. Egal, ob per Ebay, beim Kneipenwirt mit guten Beziehungen, beim Straßenverkäufer. Oder aus den Restbeständen, die bei einem Großteil der Spiele kurzfristig auf den Markt geworfen werden, wenn alle Versuche, sie in teuren Paketen und Arrangements zu horrenden Preisen zu verkaufen, in die Hose gegangen sind. d.lintz@volksfreund.de

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