Schiffbruch nicht ausgeschlossen

Im Nachbarland Belgien droht sich der Konflikt zwischen den beiden Volksgruppen Flamen und Wallonen auszuweiten. Das Land steht vor einer Zerreißprobe. Nachdem Regierungschef Yves Leterme unlängst bereits den Bettel hinwerfen wollte, ruhen nun die Hoffnungen auf einem von König Albert II. ernannten Politiker-Trio. Einer davon ist Karl-Heinz Lambertz, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft.

Eupen. (sey) Der 56-jährige Sozialist und seine beiden Mitstreiter sollen Belgien einen Weg aus der Krise weisen. Damit steht Lambertz und mit ihm die nur rund 70 000 Menschen umfassende Deutschsprachige Gemeinschaft plötzlich im Fokus. Eine ungewohnte Rolle für Lambertz, der sich in den Dauerstreit zwischen den Flamen im Norden und der südlichen Wallonie nie eingemischt hat. Aber gerade das hat den Ministerpräsidenten für seinen jetzigen Job prädestiniert. Mit Karl-Heinz Lambertz sprach TV-Redakteur Rolf Seydewitz.

Herr Lambertz, wie fühlt man sich als vom König ernannter Krisenmanager?

Lambertz: Krise, Manager und König, diese drei Begriffe passen ja nicht unbedingt zu-einander. Aber Spaß beiseite: Die Berufung in das Vermittlerteam war für mich eine große Überraschung. Und sie ist eine große Herausforderung. Es ist schließlich keineswegs üblich, dass man bei Fragen der Staatsreform in Belgien einem Repräsentanten der kleinen Deutschsprachigen Gemeinschaft eine hervorgehobene Rolle gibt. Und es ist auch nicht das, was wir als Minderheit fordern. Wir sind froh, wenn wir mit am Tisch sitzen und uns aus dem Konflikt zwischen Flamen und Wallonen raushalten können.

Nun ist das ja kein Job, um den man sich reißt. Das Risiko, zu scheitern, ist viel zu groß. Warum haben Sie dennoch zugesagt?

Lambertz: Ich kann mir nicht vorstellen, eine vom König vorgetragene Bitte abzulehnen. Aber ganz unabhängig davon ist das Risiko für mich begrenzt. Ich möchte nicht belgischer Premierminister zu werden. Und ich möchte auch nicht den Rest meiner beruflichen Tätigkeit im Spannungsfeld zwischen Flamen und Wallonen verbringen. Meine Aufgabe liegt hier im Osten Belgiens, in dieser kleinen Deutschsprachigen Gemeinschaft, wo ich seit fast zehn Jahren die Regierungsgeschicke leite. Keiner kann mir oder meinen Kollegen vorwerfen, in wenigen Tagen oder Wochen nicht geschafft zu haben, woran man in Belgien seit über 50 Jahren herumdoktert.

Erste Vorschläge für eine Staatsreform haben Sie und Ihre Kollegen König Albert II. bereits übermittelt. Können Sie uns zwei, drei Eckpunkte nennen?

Lambertz: Vorschläge für eine Staatsreform - dieser Begriff ist eigentlich etwas zu hoch gegriffen. Das braucht man auch nicht, denn die Vorschläge gibt es bereits. Es gibt keinen potenziellen Bestandteil einer Lösung, der in der Vergangenheit noch nicht diskutiert worden wäre. Es kommt halt auf die richtige Kombination an. Und in der Vorbereitung auf den Rahmen des Dialogs. Zum Verständnis ist es wichtig zu begreifen, dass es in Belgien nur regionale Parteien gibt, keine, die im ganzen Land antreten. Somit ist jedes Thema immer rasch ein Konfliktthema zwischen Flamen und Wallonen.

Die Erwartungsdruck, der auf Ihnen lastet, ist enorm: Wie zuversichtlich sind Sie, den Stein der Waisen zu finden und Belgien aus der Dauerkrise zu führen?

Lambertz: Wir sind optimistisch, dass es uns gelingt, den sogenannten institutionellen Dialog zu starten. Man kann diesen Dialog mit einem Schiff vergleichen, das aus solidem Material gebaut sein muss und jetzt auf unruhige See geschickt wird. Alle Beteiligten müssen an Bord sein, und die Fahrtrichtung wird teilweise erst bestimmt, nachdem man losgefahren ist. Konkret: Schaffen wir einen vernünftigen Rahmen, lassen wir ausreichend Zeit und Raum, um die Diskussion zu entfalten, die Gemeinsamkeiten und die Knackpunkte zu benennen. Und dann müssen wir schauen, wie wir schrittweise durch eine geschickte Verhandlungsstrategie zu einer Lösung kommen.

Bleiben wir bei dem von Ihnen gewählten Bild: Was passiert denn, wenn das Boot zwischendrin mit einem Eisberg kollidiert und zu sinken droht?

Lambertz: Es sind schon gewaltige Klippen, die da zu umschiffen sind. Nicht auszuschließen, dass das massiv gebaute Boot dennoch Schiffbruch erleidet. Dann haben wir natürlich eine richtige Staatskrise. Die hätten wir aber erst, wenn der Rahmen für den Dialog verschwindet.

Können Sie mal eine dieser Klippen konkret benennen?

Lambertz: Eine große Klippe, fast schon der Eisberg, ist die im Juli nächsten Jahres anstehende Wahl. Da werden in Belgien neben dem Europaparlament auch alle regionalen Parlamente neu gewählt. An diesem Wahltag wird sich vieles entscheiden. Besonders komplex ist die Frage der möglichen zukünftigen politischen Landschaft in Flandern. Dort treten drei Parteien an, die ganz offen eine Unabhängigkeit Flanderns und das Verschwinden Belgiens anstreben. Werden diese Parteien bei der Wahl gestärkt, wäre das eine große Hypothek.

Wenn das Staatengebilde Belgien auseinander bricht, könnte das Signalwirkung für andere Länder in der EU haben - etwa Italien oder Spanien. Inwiefern erhöht sich dadurch die Brisanz Ihres Auftrags?

Lambertz: Der Umwandlungsprozess Belgiens in einen Bundesstaat steht exemplarisch für einen Volksgruppenkonflikt, der mit dem Instrumentarium des Föderalismus auf friedliche Weise gelöst wird. Der Prozess läuft seit 1970, bislang gab es fünf Etappen - erfolgreiche Etappen. Jetzt gibt es das Bedürfnis nach einer weiteren großen Reform. Natürlich gibt es Schwierigkeiten, aber es ist möglich. Und da schauen schon viele, in deren Ländern ebenfalls Volksgruppenkonflikte bestehen, interessiert, aber auch skeptisch nach Belgien. Es gibt in Europa ein Erstarken der regionalen Landschaft - eine Art Gegengewicht zur Globalisierung. Besonders treffend finde ich in diesem Zusammenhang ein Motto aus Bayern: Laptop und Lederhose. Also ein Stück Regionalität in Zeiten der Globalisierung. Aber es wird kein erfolgreiches Europa der Regionen geben, das sich als Feind den Staat aussucht.

Woran merken Sie, dass auch andere europäische Länder derzeit gebannt auf die Entwicklung in Belgien schauen?

Lambertz: Sie merken es schon allein am Interesse der internationalen Medien. Es ist in den letzten Wochen weltweit enorm viel über Belgien berichtet worden.

In der Großregion ist der Name Karl-Heinz Lambertz schon seit mehr als einem Jahrzehnt ein fester Begriff. Seit Sie zum "Spezialagenten" des belgischen Königs ernannt worden sind, liest man Ihren Namen auch in überregionalen Blättern. Wie macht sich die neue Popularität bemerkbar?

Lambertz: Wenn man wie ich seit zwei Jahrzehnten in verantwortungsvoller Position Politik macht, hat man schon einiges gesehen und erlebt. Und man weiß einzuschätzen, was es bedeutet, mal mehr und mal weniger im Rampenlicht zu stehen. Es ist vor allem für die kleine deutschsprachige Minderheit in Belgien eine gewaltige Aufwertung, dass ein Politiker aus ihren Reihen mit einer derart bedeutenden Aufgabe betraut wurde.

Sie sind gut bekannt mit Ihrem rheinland-pfälzischen Kollegen und Genossen Kurt Beck: Wer bemitleidet wen derzeit mehr - Sie Kurt Beck oder der SPD-Bundesvorsitzende den belgischen Chef-Vermittler?

Lambertz: Kurt Beck und ich sind seit langem befreundet; damals bekleideten weder er noch ich hohe politische Ämter. Das sind die besten Freundschaften. Ich verfolge die Politik in Deutschland sehr genau, bin eher Sozialdemokrat als Sozialist. Und von daher leide ich derzeit auch manchmal ein bisschen mit meinen Freunden von der SPD.

Schauen wir zum Abschluss ein Jahr in die Zukunft: Was muss bis dahin in Belgien erreicht sein?

Lambertz: Zunächst einmal möchte ich natürlich im Juni nächsten Jahres mein eigener Nachfolger als Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft werden. Und in bezug auf die Staatsreform: Wir brauchen in Belgien einen ernsthaften Dialog, bei dem ein neuer Rahmen für das Land gefunden werden muss. Ohne ein Geheimnis zu verraten: Es muss bei der Suche nach einer Lösung in die Richtung Bund-Länder-Konferenz nach deutschem Vorbild gehen.

stichwort

Die Deutschsprachige Gemeinschaft ist die kleinste der drei autonomen Gemeinschaften des Königreichs Belgien. Sie hat eigene Schulen und Behörden und sogar eine eigene Regierung, die für Kultur und Bildung zuständig ist. Die etwa 74 000 deutschsprachigen Belgier leben im Osten des Landes in einem 850 Quadratkilometer großen Terrain rund um die Städte Eupen und Malmédy. Das Gebiet von der Größe Berlins gehörte bis zum Ende der Ersten Weltkriegs zu Deutschland, fiel aber dann durch den Versailler Vertrag an Belgien. (sey)

zur person

Karl-Heinz Lambertz ist seit 1999 Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Der studierte Jurist ist verheiratet und zweifacher Vater. Seit 2004 führt der 56-Jährige eine Koalition aus Sozialisten, Liberalen und der Partei der deutschsprachigen Belgier.

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