Schluss mit dem geringeren Übel

Die Konsens-Zeiten in Deutschland sind vorbei. Der großkoalitionäre Wettbewerb von CDU und SPD um das flachste Profil und der gemeinsame Weg des geringsten Widerstands sind zu Ende. Folgen wird eine heftige Auseinandersetzung um die politische, soziale und gesellschaftliche Richtung der Politik.

Berlin. Wenn ein kleines grünes Männchen vom Mars zufälligerweise gestern Abend in Deutschland gelandet wäre und an einem Fernseher die Bilder aus den Zentralen der Parteien gesehen hätte, dann wäre es möglicherweise zu völlig falschen Schlüssen über das Bundestags-Wahlergebnis gekommen.

Den anhaltendsten Jubel gab es im Willy-Brandt-Haus für Frank Walter Steinmeier, der seinen altehrwürdigen Verein gerade einen mächtigen Schritt weiter auf dem Weg zur Splitterpartei gebracht hatte. Lange Gesichter dagegen in München bei der CSU, wo man soeben das Ticket für die schwarz-blau-gelbe Wunschregierung gelöst hatte. Frau Kanzlerin Merkel sichtlich zufrieden, aber keineswegs euphorisch, obwohl sie doch Chefin genau jener Regierung wird, die sie sich offiziell gewünscht hat. Und die Grünen in Feierlaune, nachdem sie sich für die nächsten Jahre von jeder ernsthaften Macht- und Gestaltungsperspektive verabschiedet haben.

Deutsche Parteien haben ihre eigenen Gesetze



Die Meldung an den Mars wäre wohl etwas merkwürdig ausgefallen. Deutsche Parteien haben am Wahlabend halt ihre eigenen Gesetze. Und wer sollte schon ahnen, dass die SPD von Vogel über Rauen und Lafontaine bis Scharping jeden ihrer Wahlverlierer so gefeiert hat, aber keiner davon jemals wieder antreten durfte? Wie sollte ein Außenstehender wissen, dass für die CSU ihre Stimmergebnisse im Bayerischen Wald um Welten wichtiger sind als die künftige Entwicklung des Restes der Republik?

Die etwas merkwürdigen Reaktionen der Parteien könnten ihre Ursache aber auch darin haben, dass ihre Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen für die neue Legislaturperiode in Wirklichkeit ganz anders sind als das, was sie nach außen vorgeben.

Zum Beispiel bei Angela Merkel, die einen Wahlkampf geführt hat, der die CDU geschickt als soziale Schutzmacht der kleinen Leute gegen die bösen Börsianer, die gierigen Manager und die gefährlichen Marktradikalen platzierte. Nun muss sie sich mit einer FDP arrangieren, die Steuersenkungen versprochen hat, wie sie überhaupt nur denkbar sind bei einer dramatischen Reduzierung der Leistungen des Staates für die Bürger. Die Marktmechanismen in das marode Gesundheitssystem einziehen will. Die Arbeitsschutz reduzieren und Unternehmer-Freiheiten ausweiten will. Mit der eine ernsthafte Kontrolle von Bankenmacht und internationalen Geldflüssen nicht einmal ansatzweise machbar sein wird.

Die FDP, die nach ihrem Ergebnis vor Kraft kaum laufen kann, muss und kann elementare Positionen in der Koalition durchsetzen. Die Krise der öffentlichen Finanzen, die es in den nächsten Jahren geben wird, wird den nötigen Druck für "Grausamkeiten" schaffen. Und die CSU wird dafür sorgen, dass es einen Wettbewerb um die großzügigsten Steuersenkungen gibt. Angela Merkel aber muss damit rechnen, vom Bürger in Haft genommen zu werden für den Bluff, es reiche schon ein bisschen Wachstum und allseitiger guter Wille, um die Kosten der Krise so zu bewältigen, dass die Menschen nichts davon merken.

Links von der Mitte formiert sich ein neues Lager



Im Gegenzug wird es eine Lagerbildung links von der Mitte geben. Die SPD hat einen äußerst schmerzhaften Tritt gebraucht, um zu verstehen, dass sich sozialdemokratische Wähler nicht für die maximale Machtperspektive engagieren, Juniorpartner der CDU zu bleiben. Die SPD war zwei Bundestagswahlen lang so dumm, die durchaus reale Option einer rot-rot-grünen Mehrheit selbst zu blockieren - sie wird es kein drittes Mal sein.

Dazu gehört, dass die Sozialdemokraten einsehen, dass die Entstehung von Grünen und Linken eng mit der politischen Ignoranz der SPD-Kanzler Schmidt und Schröder gegenüber ökologischen und sozialen Themen zusammenhängt. Beide Parteien sind Fleisch von ihrem Fleisch, und sie werden nur über Koalitionsbildungen in eine gemeinsame Machtperspektive einzubinden sein. Dafür wird man neben dem Pragmatiker Steinmeier als Fraktionschef einen Parteivorsitzenden brauchen, der glaubwürdig für diese Richtung steht.

Daraus ergeben sich zwei Lager, die sich im Laufe der nächsten vier Jahre knallhart gegenüber stehen werden. Und zwar nicht nur in Einzelfragen, sondern in der gesamten Grundlinie, wie die Bundesrepublik Deutschland in fünf, zehn oder 20 Jahren aussehen soll. Und spätestens mit den ersten einschneidenden Reformen wird sich dieser Konflikt auch auf den Straßen widerspiegeln. Angela Merkel wird angesichts dieses Konfliktes ihren präsidialen Regierungsstil nicht lange beibehalten können. Die Frage, ob sie sich mit ihrem Pragmatismus und ihrer Ideologiefeindlichkeit in Zeiten der hochkochenden Emotionen lange halten kann, wird sich vielleicht schneller stellen als man am Wahlabend ahnen konnte.

Erbitterter Kampf um jedes Bundesland



Es wird einen erbitterten Kampf um jedes Bundesland geben, um Blockade-Mehrheiten im Bundesrat. Die Differenzen werden sich über alle Politikfelder spannen, auch solche, die bislang eher konsensfähig waren.

Die Frage, wer sich durchsetzt, entscheidet sich letztlich mit dem ökonomischen Erfolg. Die Bürger haben entschieden, dass sie eine klare Linie haben wollen. Wie froh sie damit werden, bleibt bis auf weiteres offen.

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