Schluss mit dem Kuschelknast

BERLIN. (dpa) Die Bundesländer wollen massiv beim Resozialisierungsangebot für Gefangene sparen. Begründung: Im Gefängnis sitzt nur noch "der harte Kern" der Straftäter.

Es war der Sexualmord an der kleinen Julia aus dem hessischen Biebertal, der den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder 2001 zu dem Ausspruch verleitete: "Wegschließen - aber für immer. Ich komme mehr und mehr zu der Auffassung, dass erwachsene Männer, die sich an kleinen Mädchen vergehen, nicht therapierbar sind." Einmal Verbrecher, immer Verbrecher? Wegsperren oder resozialisieren? Schröders Äußerung hat eine neue Qualität bekommen, denn die Bundesländer haben diese Fragen für sich nun beantwortet: Das Resozialisierungsangebot in deutschen Gefängnissen soll offenkundig massiv beschnitten werden, weil die Justizvollzugsanstalten nach Ansicht der Länder zum Sammelbecken "des harten Kerns" der Straftäter geworden sind. Und der, heißt es in einem Gesetzentwurf des Bundesrates, ist nicht mehr "resozialisierungsfähig". Schluss mit dem Kuschelknast. Mit einer juristischen Raffinesse wollen die Bundesländer die Therapie- und Betreuungsangebote kappen. Der "Schutz der Allgemeinheit" müsse endlich im Strafvollzugsgesetz dem alleinigen Ziel des "Resozialisierungsgebots" gleichgestellt werden, lautet der Plan, der von Hessen initiiert worden war und unlängst die Mehrheit der Länderkammer fand. "Immer mehr Gefangene sind behandlungsungeeignet", heißt in dem Gesetzentwurf. Außerdem müsse nur noch ein "geringer Prozentsatz aller zu Freiheitsstrafen Verurteilter" überhaupt die Haft antreten. Die Konsequenz der Länder: "Die vorrangige Ausrichtung des Vollzugs auf die Bedürfnisse der Gefangenen muss gegenüber einem erhöhten Schutzbedürfnis der Bevölkerung zurücktreten." Für die FDP-Rechtsexpertin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist offenkundig: "Der Gesetzentwurf beabsichtigt, von der Resozialisierung Abschied zu nehmen." Die Länder suchten bloß ein "Vehikel, um Einsparungen im Strafvollzug vornehmen zu können."Nichts anderes als eine Sparmaßnahme?

Besonders ärgert die Liberale die Begründung, nur noch Gewalttäter, Drogenabhängige und "Gefangene ohne jegliche soziale Wurzel" würden in den Gefängnissen ihre Haft verbüßen: "Wir haben doch immer mehr jüngere Straftäter", sagte Leutheusser-Schnarrenberger gegenüber unserer Zeitung. 2004 saßen rund 7000 von ihnen eine Jugendstrafe ab, Tendenz steigend. Auch für den Vorsitzenden des Bundes der Strafvollzugsbediensteten (BSBD), Wolfgang Schröder, ist der Plan der Länder "nichts anderes als eine Sparmaßnahme". Man wolle anscheinend weg vom teuren Behandlungsvollzug hin zum Verwahrvollzug der 60er-Jahre. Der kommt die Länderfinanzminister weitaus billiger: 60 bis 70 Euro würde laut BSBD die Versorgung eines Gefangenen pro Tag kosten, während im Behandlungs- und Maßregelvollzug mit seinen Resozialisierungsangeboten bis zu 300 Euro täglich fällig werden. Schröder befürchtet durch die Initiative der Länder eine neue Runde beim Stellenabbau im Strafvollzug. Neben den Beamten seien dann vor allem Sozialarbeiter, Psychologen und Pädagogen betroffen. Rund 38 000 Bedienstete arbeiten derzeit noch im Strafvollzug, 90 000 Gefangene sitzen in den 200 Gefängnissen der Republik ein. Seit rund zwölf Jahren steigen die Belegungszahlen kontinuierlich an, weshalb bundesweit nach Angaben des BSBD cirka 15 000 Haftplätze fehlen. "Eine Vollzugsanstalt, die einigermaßen funktionieren soll, darf aber eigentlich nur zu 85 Prozent belegt sein", so Schröder.

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