"Schlussverkauf wird weiter leben"

TRIER. Abschied von einer Institution: Auch in der Einkaufsmetropole Trier begann gestern der letzte Schlussverkauf. Von Wehmut war in der Stadt allerdings nicht allzuviel zu spüren.

Schlussverkauf: Das war in Kindertagen eine Einrichtung, die im Lauf des Jahres einen mindestens ebenso festen Platz hatte wie Weihnachten, Heimatfest und der letzte Schultag vor den großen Ferien. Es war der Tag, an dem die Mutter schon morgens früh "in die Stadt" fuhr, das Mittagessen schwänzte und abends mit Bergen von Tüten und Taschen nach Hause zurückkehrte, so müde wie ein Soldat nach der Schlacht, aber meist auch so zufrieden wie der Feldherr nach dem Sieg. Dann wurde ausgepackt: Die Hose zu fünf Mark, zwei Nummern zu groß, "aber da wächst du ja noch rein". Die Sandalen für den kleinen Bruder, denn Schuhwerk wurde im Gegensatz zu Klamotten grundsätzlich nicht "vererbt". Die Ausstattung für den nächsten Winter, zwar noch zehn Monate voraus, aber "wenn man's im Herbst kauft, ist es doppelt so teuer". Massenhaft Socken und Wäsche, Hemden, Pullover und irgendwo, ganz unten drin, noch was Schickes für die Groß-Einkäuferin, mit schlechtem Gewissen vom letzten Geld erstanden. Abends in der Tagesschau dann alle Jahre wieder die Bilder von Frauen, die durch sich öffnende Türen in ein Kaufhaus stürzten und an prall gefüllten Wühltischen rangelten. Und heute? Um neun Uhr morgens am WSV-Starttag zeigen die Parkleit-Tafeln leere Stellplätze in vierstelliger Zahl an. Die Fußgängerzone schlummert sanft, wie es scheint. Immerhin, bei der Galeria Kaufhof in der Fleischstraße verzeichnet man ein paar Dutzend Kunden. Vielleicht hat der "Extra-Frühaufsteher-Rabatt" für Einkäufer von 8 bis 10 Uhr sie angelockt. Nur mit dem Rechnen hat man Probleme: Das Dresshemd "King George" ist von 24,95 auf 9,95 Euro heruntergesetzt, aber das zugehörige Werbeschild versichert, die Preise seien "bis zu 50 Prozent reduziert". Auch C&A hat traditionsgemäß zum Schlussverkaufs-Start die Tore schon um 8 Uhr geöffnet. Aber die Zeiten, da die Kundschaft den Laden stürmte, sind "längst vorbei", schmunzelt die Verkäuferin am Hemdenstand. Trotzdem sei man zufrieden, sagt Filialleiter Martin Harten. Schließlich sei C&A "das Schlussverkaufshaus schlechthin". Ob er heute wohl auch die Zahl der Kaufhaus-Detektive verstärkt hat? Der groß plakatierte Slogan "Reinkommen und alles rausholen" könnte Ladendiebe auf missverständliche Gedanken bringen. Allenthalben prallt einem aus den Schaufenstern der City in überwiegend roter Signalfarbe die Zeile "Reduziert" entgegen - offenbar ein Schlüsselbegriff. Vor H&M am Hauptmarkt ringen zwei ältere Damen mit Eifeler Dialekt schwer mit dem Trend zum Anglizismus: "S-A-L-E-S" buchstabieren sie mühsam und fragen sich, was das wohl heißen mag. Wahrscheinlich entsprechen sie nicht mehr ganz der Zielgruppe des Hauses. So viele Kirchen es in Trier geben mag: Das dominierende Symbol in der Stadt ist dieser Tage nicht mehr das Kreuz, sondern das Prozentzeichen. Tausendfach signalisiert es sogar dem Analphabeten die Botschaft vom Schnäppchen-Preis. Manche Boutiquen und Geschäfte haben die halbe Ladenfassade, Fenster inklusive, zugekleistert. Geschmack und Stadtbild spielen da keine Rolle mehr. Es gibt auch Ausnahmen: Bei der "Blauen Hand" etwa fehlt jeglicher Hinweis auf Billig-Verkäufe. Man wolle sich bewusst nicht an der "Verkaufs-Maschine" beteiligen, sagt Inhaber Michael Müller. Die Lager habe man bereits mit eigenen Sonderaktionen geleert, und Ausverkaufsware hinzuzukaufen lehne man ab - "wie viele Mittelständler", betont Müller, der auch dem Einzelhandelsverband vorsteht. Sogar Winterkäse wird verkauft

Einst war der Schlussverkauf der Saisonware vorbehalten, heute bietet alles mit. "Winterpralinen" werden verkauft, Biogate in der Palaststraße lockt gar mit "Wintergouda" zum Sonderpreis - Ideen muss man haben. Im Radio lädt Möbel-Martin zum WSV-Shopping - ob die wohl ihre Weihnachtsschränke und Wintercouchgarnituren los werden wollen? Früher, erinnert sich Verkaufs-Veteran Ali Kramp von der Musik-Abteilung im Pro Markt, habe das Massenaufkommen an Schlussverkaufstagen sogar jenen Branchen einen Boom beschert, die gar keine reduzierte Ware anboten. "Aber das ist vorbei", sagt er mit Blick auf die eher ruhige Kundenlage. Also keine Trauer zum Abschied? "Oh doch", widersprechen drei Frauen, die sich schwer bepackt auf den Weg zum Parkhaus machen. Die Schnäppchenjagd mache "viel zu viel Spaß, um sie uns einfach wegnehmen zu lassen". Ganz ähnlich sieht das C&A-Mann Harten. Der Schlussverkauf sei eine "feste Institution im Hinterkopf der Deutschen". Deshalb werde diese Einrichtung trotz der veränderten Rechtslage weiter leben, "wie auch immer sie dann heißen mag".

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