Schmerzfaktor mittel bis hoch

TRIER. Der Sommer bringt es an den Tag: Piercings und Tattoos, einst Kennzeichen einer sozialen Subkultur, sind zum Massenphänomen geworden. Der neue Trend sorgt für heftige Debatten in vielen Familien.

Wer es genau wissen will, braucht nur einen Blick ins Internet zu werfen. Unter dem Stichwort "Schmucke Stellen" bietet etwa die Homepage "fantastic-art.de" einen Einblick in "bepiercbare Körperteile". Weil etliche Leser bei vielen genannten Zielpunkten nicht einmal wissen, dass sie eine solche Stelle besitzen, kann man per Maus-Klick gleich eine Skizze auf den Bildschirm holen. 21 000 Besucher verzeichnet die aktuelle "Visit-Liste" der Homepage. Piercings und Tätowierungen gehören zum Alltag der jungen Generation, sind längst gesellschaftsfähig. "Es gehört nicht mehr in die Schmuddel-Ecke", sagt die Ärztin Barbara Detering-Hübner, die das Phänomen für das Trierer Gesundheitsamt beobachtet. Historisch gesehen ist Piercing alles andere als neu. Das Bohren von Haut-Löchern für Schmuck sei "so alt wie die Menschheit selbst", berichtet Detering-Hübner. Erst durch den Einfluss der mittelalterlichen Kirche wurde diese Art der Zierde verpönt. Inzwischen geht die Zahl der Piercing-Träger in die Millionen, und die Stellen werden immer exotischer. Brustwarzen, Zunge und Bauchnabel sind schwer in Mode, Körperpartien, bei denen die Ärztin den "Schmerzfaktor" als "mittel bis hoch" einstuft. Thomas Hromada, Inhaber des Trierer Studios "Inside-Body-Piercing", bestätigt den Trend, auch wenn er den Schmerz als weniger gravierend einstuft. Auch Intim-Piercings werden immer häufiger nachgefragt. "Früher einmal im Monat, jetzt dreimal in der Woche" lassen seine Kunden die Hosen herunter. "60 Prozent Frauen, 40 Prozent Männer" kommen in seinen Betrieb, dem selbst das Gesundheitsamt einen guten Zustand attestiert. Von der rechtlichen Möglichkeit, Minderjährige auch ohne Einwilligung der Eltern zu piercen, macht Hromada keinen Gebrauch. Ohne Einverständniserklärung der Eltern geht nichts, in der Regel müssen sie auch persönlich anwesend sein, erzählt der frühere Bundeswehr-Sanitäter. Sogar die Ausweise werden kontrolliert, um die Verwandtschaft zweifelsfrei festzustellen. Nicht immer weiß der Piercer, ob seine Kunden der Verantwortung gewachsen sind. Schon die Einhaltung der nötigen Hygiene setze "eine gewisse Reife voraus". Habe man Zweifel, dann schicke man einen potenziellen Kunden "auch mal nach Hause". Der Konzer Hautarzt Gerd Kautz schickt inzwischen alle Piercing-Klienten heim. Anfangs dachte er: "Besser ein Arzt macht das als ein Ahnungsloser". Inzwischen sei seine Skepsis gewachsen, "seit ich die Vernarbungen im Ultraschall gesehen habe." Nun rät er rigoros vom Piercen ab. Auch seine Kollegin Detering-Hübner weist auf mögliche Folgeschäden hin und plädiert dafür, "wenn es denn sein muss, wenigstens auf Sterilität zu achten". Zudem gebe es "qualitative Unterschiede, je nachdem an welcher Stelle gepierct wird". In jedem Fall solle "der Körper ausgewachsen sein". Verständnis für elterliche Bedenken hat auch der Jugend-Soziologe Waldemar Vogelgesang. Einflussnahme sei zumindest geboten "bei körperlichen Veränderungen, die nicht mehr umkehrbar sind."

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