Schock-Video gefährdet Friedensmission

Washington · Mitten hinein in die Bemühungen der USA, in Afghanistan Friedensgespräche mit den Taliban-Rebellen anzubahnen, platzt eine skandalträchtige Veröffentlichung. Ein Video zeigt mutmaßliche US-Soldaten in menschenverachtender Pose - als Leichenschänder.

Washington. Das 39 Sekunden lange Video, das mehrere Stunden lang auf Youtube und anderen Internet-Seiten abrufbar war, zeigt mehrere Männer in Kampfanzügen der US-Marineinfanterie. Sie sind gut gelaunt, fummeln an ihren Hosenschlitzen. Dann urinieren sie auf vor ihnen liegende reglose Körper, die teilweise Einschussstellen aufweisen und blutverschmiert sind. "Einen schönen Tag noch, Buddy", ruft einer der Anwesenden. Ein anderer reißt einen zotigen Witz.
In Washington und im Pentagon haben die Aufnahmen für Entsetzen, Empörung und hektische Ermittlungen gesorgt. Bei den abgebildeten mutmaßlichen Leichenschändern soll es sich um Soldaten handeln, die zu einem US-Scharfschützenteam vom Militärstützpunkt Camp Lejeune im Bundesstaat North Carolina gehören.
Nicht der erste Skandal


Kurz vor dem Entstehen der Aufnahmen sollen die Soldaten mehrere Taliban-Rebellen getötet haben. Der Skandal kommt im ungünstigsten Augenblick. Kommende Woche ist ein Besuch des US-Diplomaten Marc Grossman in Kabul vorgesehen. Grossman soll mit Afghanistans Präsident Hamid Karsai die Weichen für direkte Friedensverhandlungen mit den Taliban stellen. Die Befürchtung in den USA ist nun, dass diese geplante Annäherung - zu der auch die Eröffnung eines Taliban-Büros im Golfstaat Katar und die vom Weißen Haus in Aussicht gestellte Entlassung von fünf führenden Taliban aus Guantánamo Bay zählen - durch dieses Video gefährdet wird.
Die mutmaßlichen Täter sind offenbar bereits wieder in den USA. Das Pentagon, das von einem "ungeheuerlichen Verhalten" sprach, will die an der Leichenschändung Beteiligten "vollständig zur Rechenschaft ziehen". Eine Spezialabteilung der Navy soll in dem Fall ermitteln. Afghanistans Präsident verurteilte die Vorgänge als "zutiefst unmenschlich". Ein Taliban-Vertreter ergänzte, man habe nicht das erste Mal solche Brutalität gesehen.
Erst 2011 waren die US-Militärs am Hindukusch mit einem ungeheuerlichen Skandal konfrontiert. Fünf Soldaten der in Kandahar eingesetzten Stryker-Brigade sollen mindestens drei unbewaffnete Zivilisten, darunter einen 15-jährigen Jungen, aus Spaß getötet und sie dann enthauptet haben. Finger seien zudem als Souvenir abgeschnitten worden. Die meisten Aufnahmen dieser Gräueltaten hat das Pentagon bisher unter Verschluss halten können, weil man eine Welle der Empörung in der islamischen Welt befürchtet. Die juristische Aufarbeitung schreitet unterdessen voran. Der als Haupttäter und treibende Kraft geltende Jeremy Morlock (22) ist im März 2011 zu 24 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Ein weiterer Soldat bekam lebenslang, kann aber nach neun Jahren vorzeitig aus dem Gefängnis freikommen.
Meinung

Abscheulichkeiten müssen geahndet werden
Für die meisten am Hindukusch eingesetzten Isaf-Soldaten geht es täglich um Leben oder Tod. Hinterhalt-Attacken, improvisierte Sprengsätze, als afghanische Soldaten getarnte Selbstmord-Attentäter - das Repertoire der Taliban-Extremisten erscheint unerschöpflich. Dennoch können selbst diese Brutalität und Rücksichtslosigkeit des Gegners nicht jene Leichenschändung rechtfertigen oder entschuldigen, die offenbar von US-Marinesoldaten begangen und auch noch in einem schockierenden Video dokumentiert worden ist. Die internationalen Truppen, allen voran die USA, wollen dem geschundenen Land Frieden und Stabilität bringen - und westliche Werte wie einen zivilen Umgang miteinander vermitteln. Wenn sie das noch hinbekommen wollen, dann müssen sie derartige Abscheulichkeiten mit allen Mitteln der Justiz schnell und konsequent ahnden. Nur so kann der Westen zeigen, dass er es mit seinem schwierigen Auftrag weiter ernst meint.

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