Schreckliche Szene

WASHINGTON. Fehler oder richtige Reaktion? US-Soldaten haben gestern im Irak auf einen mit 15 Zivilisten besetzten Bus geschossen und dabei mindestens acht Menschen getötet.

"Eine grausame Szene auf dem Highway 9." So überschrieb gesternWilliam Branigin, ein den US-Truppen zugeteilter Reporter der"Washington Post", seine Eindrücke über die Vorgänge, die zum Todvon mindestens acht Frauen und Kindern in einem mit 15 Zivilistenbesetzten Kleinbus geführt haben. Doch der Bericht des Journalisten, sehr detailliert und mit namentlicher Nennung weiterer Ohren- und Augenzeugen, weicht in wesentlichen Punkten von der offiziellen Reaktion des US-Verteidigungsministeriums ab: In der Zahl der Toten und der bedeutenden Frage, ob den sich einem US-Kontrollpunkt nahe der Stadt Nadschaf nähernden Insassen ausreichend Warnungen und Zeit für einen Stopp gegeben wurde, bevor die 25-Millimeter-Geschosse eines amerikanischen Bradley-Transporters die rechte Seite des Fahrzeugs durchsiebten.

Während sowohl Pentagon-Offizielle wie auch ein Sprecher des US-Zentralkommandos in Katar gestern immer wieder beteuerten, die durch einen früheren Selbstmordanschlag sensibilisierten Soldaten hätten nur Dienstanweisungen befolgt und "angemessen" gehandelt, zeichnet der Bericht des Journalisten ein etwas anderes Bild. Danach hat der Kommandeur vor Ort dem Todesschützen nach dem Vorfall massive Vorwürfe gemacht, weil dieser den ersten von insgesamt zwei Warnschüssen nicht früh genug abgegeben habe. Zehn der Insassen, darunter fünf Kleinkinder und ein unbewaffneter Fahrer, sind nach den Recherchen des Reporters getötet worden, nur zwei Insassen überstanden den Beschuss unverletzt.

"Es war die schrecklichste Szene, die ich je gesehen habe. Und die ich hoffe nie wieder zu sehen", wird in dem Bericht auch ein Sanitäter zitiert, der den Verletzten Erste Hilfe leistete. Diese seien dann in US-Garnisonen zur Behandlung gebracht worden.

Die Soldaten vor Ort hätten anschließend den Überlebenden gestattet, zu dem zerstörten Fahrzeug zurück zu kehren, um ihre toten Angehörigen zu bergen. "US-Sanitäter haben ihnen zehn Leichensäcke zur Verfügung gestellt. Und Offiziere haben ihnen Bargeld angeboten, um sie für den Verlust zu entschädigen", berichtete Branigin.

Im Pentagon zeigte man keinerlei Veranlassung, die "rules of engagement" (Kriegsregeln) zu überdenken: Angesichts der Guerillataktik der irakischen Kämpfer sollen zunächst alle Zivilisten solange als feindliche Kräfte betrachtet werden, bis sie sich als harmlos herausstellen. Eine Untersuchung soll jetzt unter anderem klären, wie viele Todesopfer es gab und ob die Soldaten am Kontrollpunkt tatsächlich detailliert die Dienstanweisung befolgt haben.

"Die Hauptverantwortung für diesen tragischen Zwischenfall trägt allerdings Saddam Hussein mit seiner Taktik, menschliche Schutzschilde für Angriffe zu nutzen", erklärte gestern US-Militärsprecher Frank Thorp.

Doch dem Pentagon droht bereits neuer Ärger: Nach unbestätigten Berichten sollen gestern zwei Busse, besetzt mit Friedensaktivisten, von US-Kampfjets angegriffen worden sein. Ob es Opfer gab, war am Dienstagabend noch unklar.

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