"Schulen sind keine Inseln"

TRIER. Eine Situation wie an der Berliner Hauptschule hält die Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD) in Rheinland-Pfalz für ausgeschlossen. Der TV sprach mit ihr.

Frau Ahnen, halten Sie eine Situation wie an der Berliner Hauptschule auch in Rheinland-Pfalz für möglich?Ahnen: Wir nehmen das Thema aggressives Verhalten von Jugendlichen ernst, und deshalb ist es Teil einer umfassenden Präventionsarbeit. Aber der Fall der Berliner Rütli-Schule ist ein Ausnahmefall, der nicht auf andere Schulen übertragbar ist. Was tut das Land, damit es nicht zu einer derartigen Eskalation kommt?Ahnen: Die Landesregierung hat seit 1994 die Präventionsarbeit an den Schulen stark ausgebaut. An vielen Schulen gibt es Streitschlichterprogramme oder Anti-Aggressions-Kurse. Unser Ziel ist, dass sich Kinder und Jugendliche auf dem Weg in die Schule, in der Schule und in ihrer Freizeit sicher fühlen. Wie beurteilen Sie die Gewalt an Schulen im Land?Ahnen: Im Ländervergleich liegt Rheinland-Pfalz im unteren Drittel, was die Häufigkeit von Straftaten von Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil betrifft. Eine Studie der Berufsunfallkassen belegt, dass die Zahl der gewalttätigen Auseinandersetzungen an Schulen rückläufig ist. Anforderungen an Lehrer sind gewachsen

Gewalt in Schulen spielt sich ja oft außerhalb der wahrnehmbaren Öffentlichkeit ab (Stichwort: Mobbing). Wie kann dem begegnet werden? Ahnen: Unsere Präventionsarbeit umfasst nicht nur den Schutz vor körperlicher Gewalt, sondern schließt die Auseinandersetzung mit verbalen Aggressionen ausdrücklich mit ein. Wir wollen die Persönlichkeitsentwicklung bei Kindern und Jugendlichen stärken. Wer für sich selbst ein positives Konzept hat, dem fällt es sehr viel leichter, andere und deren Persönlichkeit zu akzeptieren. Brauchen die Schulen eigene Psychologen und Sozialarbeiter? Ahnen: In den vergangenen Jahren haben wir die Schulsozialarbeit, mit Schwerpunkt an Hauptschulen und an berufsbildenden Schulen, gezielt ausgebaut. Das Land finanziert derzeit an 66 Hauptschulen Stellen für Schulsozialarbeit. Neun weitere kommen in diesem Jahr hinzu. Bei den berufsbildenden Schulen gibt es an allen 48 Standorten mit Berufsvorbereitungsjahr und an 18 Standorten mit Berufsfachschule Unterstützung durch Schulsozialarbeit. Zusätzlich gibt es Hilfe für Schüler und deren Eltern beim schulpsychologischen Dienst. Die Schulen nutzen außerdem sehr häufig die angebotenen Präventionsprogramme und haben die Zusammenarbeit mit der Polizei intensiviert. Viele Lehrer fühlen sich überfordert, klagen über zunehmende Gewalt an Schulen. Was läuft da schief? Ahnen: Die Schule ist keine Insel, sondern Teil der Gesellschaft. Die Anforderungen an die Lehrerinnen und Lehrer sind gewachsen, gerade auch was die Vermittlung sozialer Kompetenzen angeht. Deshalb ist es besonders wichtig, dass die Lehrkräfte durch Präventionsprogramme und Fortbildung unterstützt werden. So wurden zum Beispiel im vergangenen Jahr 33 Lehrer zu Moderatoren für Gewaltprävention qualifiziert. Wie muss eine Integration von ausländischen Schülern vonstatten gehen, damit es nicht zu Konflikten kommt? Ahnen: Wir müssen allen Kindern und Jugendlichen, die in Deutschland aufwachsen, eine Chance auf gesellschaftliche Teilhabe eröffnen, insbesondere indem wir jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz oder eine berufliche oder schulische Qualifizierung anbieten. Rheinland-Pfalz hat im Ländervergleich die drittniedrigste Quote bei der Jugendarbeitslosigkeit. Und wir müssen dafür sorgen, dass alle Kinder mit guten Sprachkenntnissen in die Schule kommen. Da haben wir seit Januar einen Schwerpunkt drauf gesetzt. Welche Rolle spielt das dreigliedrige Schulsystem bei der Eindämmung von Gewalt an Schulen?Ahnen: Wir dürfen in der Diskussion über Gewalt nicht den Fehler machen, einzelne Schulen oder Schularten oder bestimmte Jugendliche zu stigmatisieren. Unsere Hauptschulen und die dort tätigen Lehrer haben eine mitunter schwierige Aufgabe, der sie aber mit großem Engagement nachgehen. Auch die Pisa-Studie hat deutlich gezeigt, dass an rheinland-pfälzischen Hauptschulen gute Arbeit geleistet wird. Diese gute Arbeit sollte niemand durch Verallgemeinerungen kaputt machen. d Die Fragen stellte unser Redakteur Bernd Wientjes.

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