"Schutz der Bürger oberste Priorität"

Berlin · Ist die Euro-Zone sicher? Passen Wahlkampf und Europapolitik zusammen? Dürfen Geheimdienste in die Privatsphäre eingreifen? Die Kanzlerin antwortet im Interview.

Berlin. Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel sprachen die dpa-Mitarbeiter Kristina Dunz, Martin Bialecki und Roland Freund.
Sie hatten ein Treffen mit den Angehörigen der NSU-Opfer. Was hat Ihnen dieses Treffen bedeutet?
Angela Merkel: Ich hatte den Angehörigen der von der NSU ermordeten Menschen und den Opfern des Kölner Anschlags bei der Gedenkfeier im Februar 2012 zugesagt, dass wir uns mit einem gewissen zeitlichen Abstand wieder treffen würden. Es war jetzt sehr berührend für mich zu hören, mit welch schweren Belastungen diese Menschen noch heute leben. Viele von ihnen tragen noch immer schwer an der seelischen Last, einige konnten längere Zeit nicht ihrem Beruf nachgehen. Sie haben zudem die Sorge, dass der Kampf gegen den Rechtsextremismus wieder ins Vergessen geraten könnte, wenn der Gerichtsprozess einmal vorüber ist. Ich habe ihnen zugesagt, alles in meiner Macht Stehende zu tun, damit genau das nicht geschieht.

Der Skandal um das US-Ausspähprogramm "Prism" weitet sich aus. Was ist Ihrer Ansicht nach der Grund für das große Misstrauen gegen Deutschland?
Merkel: Natürlich sind für die USA der Anschlag vom 11. September 2001 und die Tatsache, dass die Attentäter in Deutschland lebten, ein wesentliches Moment für Geheimdienstaktionen.

Ist Deutschland deshalb so sehr das Ziel?
Merkel: Mich beschäftigt zunächst die Sachaufklärung dazu, was berichtet wird. Das geschieht, indem wir darüber sehr intensiv mit unseren Freunden in den USA sprechen. Mit dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama habe ich bereits bei seinem Berlin-Besuch ausführlich über dieses Thema gesprochen, und ich habe es am Mittwoch erneut getan. Wir haben verabredet, dass sowohl unsere Dienste als auch die zuständigen Ministerien in der nächsten Woche in Washington über alle Fragen im Detail reden. Oberste Priorität meines Handelns ist der Schutz unserer Bürger in Deutschland, und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen wollen wir ebenso wie die USA einen wirksamen Schutz vor terroristischen Bedrohungen und wissen, dass wir im Kampf gegen den Terror der Zusammenarbeit mit den USA immer wieder wichtige Hinweise verdanken. Ich erinnere nur an die Festnahme der sogenannten Sauerland-Gruppe, mit der wir möglicherweise schrecklichen Anschlägen in Deutschland zuvorkommen konnten. Zum anderen gehört zu einer freiheitlichen Gesellschaft zwingend auch der Schutz der Privatsphäre der Bürger, und alle Eingriffe in sie haben strikt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu gehorchen und nach Recht und Gesetz zu erfolgen.
Bundestagswahl 2013


Wenn Medienberichte dieser Tage tatsächlich zuträfen, dann wäre das ein gravierendes Vorkommnis, weil zum Beispiel Wanzen in Botschaften und EU-Vertretungen inakzeptabel sind. Der Kalte Krieg ist vorbei. Zahlreiche Fragen sind derzeit noch offen, und wir werden uns bemühen, sie zu beantworten, sobald wir Klarheit haben.

Sie haben die CDU sehr weit in die Mitte gerückt. Welche Gefahren können sich daraus für die Christdemokraten ergeben?
Merkel: Der Platz der CDU war immer in der Mitte, das war zu Zeiten Helmut Kohls und Konrad Adenauers nicht anders. Auch früher gab es einen Sozial- und einen Wirtschaftsflügel, die beide gleichermaßen gepflegt wurden. Heute ist es nicht anders. Bedeutende Sozialreformen sind unter CDU-Kanzlern entstanden, zuletzt die Pflegereform. Wir sind eine Volkspartei. Nur eine CDU in der Mitte der Gesellschaft und des politischen Spektrums ist stark und mehrheitsfähig.

Sie haben einen Bericht dementiert, wonach Sie in der Mitte der nächsten Legislaturperiode als Kanzlerin aufhören und zurücktreten würden. Könnten Sie sich dieses Modell aber überhaupt vorstellen: Lieber selbstbestimmt Nachfolger und Zeitpunkt bestimmen als aus dem Amt gewählt zu werden?
Merkel: Glauben Sie mir - damit beschäftige ich mich nicht. Ich bin gerne Bundeskanzlerin und möchte es bleiben, und zwar die ganze nächste Legislaturperiode, denn ich sehe viele Aufgaben vor uns.

Sie haben früh, intensiv und lange finanzschwache Euro-Länder zum Sparen gezwungen. Seit geraumer Zeit verweisen Sie stärker auf die Notwendigkeit, dass es auch den anderen Euro-Partnern wirtschaftlich gutgehen muss, damit es Deutschland gutgehen kann. Haben Sie Zeit verspielt, haben Sie da einen Fehler gemacht?
Merkel: Solide Finanzen sind eine notwendige Voraussetzung für Wachstum, kluge Strukturreformen müssen dazukommen. Griechenland, Portugal und andere Länder waren in der Situation, sich wegen ihrer hohen Verschuldung nicht mehr finanzieren zu können. Weil dadurch der Euro als Ganzes in Gefahr geriet, haben wir diesen Ländern unter der Voraussetzung geholfen, dass sie daran gingen, ihre Defizite abzubauen. Das war ja schließlich der Auslöser ihrer Notlage. Sobald sich die von der Krise besonders betroffenen Staaten wieder auf einen solideren Haushaltskurs begeben, gilt es gleichzeitig, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und neues, diesmal nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung zu befördern. Jedes Land in Europa muss sich die Frage stellen, womit es in Zukunft sein Geld verdienen, seinen Wohlstand erarbeiten will. Welche Industriebranchen, welche Dienstleistungen also sind besonders zukunftsfähig? Diese Frage zu beantworten und die politischen Weichen für Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und die Ausbildung der Jugend zu stellen, ist die konkrete Aufgabe in einigen Ländern.

Können Sie zum jetzigen Zeitpunkt sagen: Der Euro ist gesichert?
Merkel: Ich habe immer gesagt, dass die europäische Staatsschuldenkrise nicht über Nacht mit dem einen Befreiungsschlag überwunden werden kann, sondern nur in einem langen Prozess vieler Schritte und Maßnahmen. Dabei sind wir ein gutes Stück vorangekommen, aber nach wie vor gibt es viele Probleme zu lösen. "

Können sich die Probleme noch so entwickeln, dass doch eines der betroffenen Länder aus der Euro-Zone ausscheiden wird?
Merkel: Nein, das sehe ich nicht. Wir müssen alle miteinander noch besser werden, aber dazu brauchen wir die Gemeinsamkeit Europas.

Ihre Rolle in Europa wird nicht einfacher, die Länder schauen auf Sie. Wie ungelegen kommt Ihnen da der Wahlkampf?
Merkel: Zu einer Demokratie gehören Wahlen. Im Übrigen hätte ich keine einzige Entscheidung in Europa anders gefällt, wenn die Bundestagswahl ein Jahr früher oder später stattfände. Von manchen wird in Wahljahren vieles mit dem Wahltermin in Verbindung gebracht, aber sie können bei allen europäischen Themen die langen, beständigen Linien unserer Politik erkennen.

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