Schwächeln auf der Zielgeraden

BERLIN. Sechs Spitzenkandidaten kämpften gestern Abend in der ARD-Sendung ,,Wahl 05: Die Favoriten – Spitzenpolitiker im Kreuzverhör" mit harten Bandagen. Es war die letzte öffentlichkeitswirksame Debatte vor einem Millionen-Publikum.

Der harte Wahlkampf hat sie unübersehbar gezeichnet: Gerhard Schröder, der deutlich angestrengter wirkte als sonst. Angela Merkel, die zwar erneut souverän aufschlug, aber doch die lockere Angriffslust aus der Fernseh-Runde von vor gut einer Woche vermissen ließ. Joschka Fischer sowieso, dessen Stimme Reibeisencharakter hatte und dessen Stirnfalten sich mit dem Grad seiner neuesten Gewichtsabnahme immer tiefer einzugraben scheinen. Edmund Stoiber wirkte angriffslustig, aber ebenfalls ein bisschen blass und leicht abgekämpft. Guido Westerwelle allerdings musste von den beiden Moderatoren wiederholt eingefangen werden, so sehr lechzte der Liberale auf der Zielgeraden dieses Bundestagswahlkampfes nach Auseinandersetzungen mit dem Kanzler und seinem Außenminister. Und während sich die beiden großen politischen Lager Rot-Grün und Schwarz-Gelb gestern in der ARD-Sendung ,,Wahl 05: Die Favoriten - Spitzenpolitiker im Kreuzverhör" mit harten Bandagen sehr engagiert einen klassischen Lagerwahlkampf lieferten, blieb der Sechste im Bunde, der sonst so wortgewandte Gregor Gysi von der Linkspartei, auffällig unauffällig und oberflächlich. Der wortgewandte, quirlige Berliner Anwalt kam gegen Schröder/Fischer auf der einen und Merkel/Stoiber/Westerwelle auf der anderen Seite nicht richtig zum Zug.Die beiden ARD-Anstalten Mitteldeutscher Rundfunk (MDR) und Hessischer Rundfunk (HR) hatten bereits gestern um 12.30 Uhr in das Berlin-Studio von Sabine Christiansen nahe der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche geladen. Dort wurde die neunzigminütige Diskussionsrunde aufgezeichnet, die dann am Abend ab 21.05 über den ARD-Bildschirm flimmerte. Ein anderer Diskussionstermin als gestern Mittag hätte nicht gepasst, denn schon am späteren Nachmittag waren sie alle wieder im kräftezehrenden Wahlkampfeinsatz quer durch die Republik unterwegs.

Die Journalisten in der Bundeshauptstadt hatten gestern Mittag Gelegenheit, die Elefantenrunde im gegenüberliegenden Hotel Palace Berlin auf einer Riesenleinwand von fünf mal drei Metern direkt zu verfolgen. Diese Leinwandgröße verzeiht nicht den kleinsten Fehler. Fazit der gestrigen ARD-Wahlkampfsendung: Es ist nach wie vor spannend, die Debatten zu erleben, auch wenn man meint, es sei doch eigentlich schon alles gesagt. Einen herausragenden Sieger gab es gestern nicht. Rot-Grün und Schwarz-Gelb argumentierten auf einem ausgeglichenen Niveau. Schröder und Merkel waren allerdings im gestrigen ,,Rückspiel" ein gutes Stück von ihrer starken Form entfernt, die sie in der Gemeinschaftssendung von öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehanstalten am 4. September an den Tag gelegt hatten. Der Kanzler kam gestern sichtlich ins Schwitzen, als im Zusammenhang mit dem maroden Staatshaushalt nach der ,,Liste der Grausamkeiten in Hans Eichels Schreibtisch" gefragt wurde. Und er verwahrte sich leicht ironisch dagegen, Paul Kirchhof als Wahlkampf-Geschenk der Union zu bezeichnen: ,,Das ist ja nun wirklich kein Geschenk."

Merkel machte dagegen klar, dass sie an Paul Kirchhof als künftigem Finanzminister festhalten wolle, sollte die Union die Wahl gewinnen. Merkel gab sich ansonsten zuversichtlich: ,,Wir werden auf der Zielgeraden die Wahl gewinnen."

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