Schwindel erregender Spaziergang

Phoenix/Arizona. Ein Spaziergang über dem Abgrund für schwindelfreie Touristen: 1200 Meter hoch über dem Talboden des Grand Canyons können sie demnächst über eine dünne gläserne Plattform laufen und Amerikas berühmtestes Naturwunder aus der Vogelperspektive erleben.

Seit Mittwoch dieser Woche schwebt die wie ein Hufeisen geformte gläserne Aussichtsbrücke 24 Meter tief in den Westteil des Grand Canyon hinein. Wer sie betritt, darf keine Höhenangst haben und sollte möglichst über ein Faible für Nervenkitzel verfügen.Ein Sturz würde 15 Sekunden dauern

Lediglich 55 Millimeter dicke Scheiben aus durchsichtigem Sicherheitsglas, hergestellt von einem deutschen Unternehmen aus Köln-Porz, liegen dann zwischen den Füßen der Besucher und einem freien Fall zum 1250 Meter tiefer liegenden Boden der Schlucht, durch die sich der Colorado-River schlängelt. Ein Sturz, der - so haben es neugierige Wissenschaftler bereits ausgerechnet - genau 15 Sekunden dauern würde. Doch so weit soll es beim "Skywalk", so versichern die verantwortlichen Ingenieure, niemals kommen. Wenn am 20. März der amerikanische "Apollo 11"-Astronaut Buzz Aldrin, der 1969 bereits auf dem Mond spazierte, die Touristenattraktion mit einem Rundgang eröffnet, erwartet die Neugierigen, die es ihm für 25 Dollar (umgerechnet 19 Euro) Eintritt vom 28. März an nachtun können, vom Sonnenaufgang bis zur Dämmerung ein angeblich extrem sicheres Erlebnis. Das 480 Tonnen schwere Bauwerk, mit Stahlstreben im Fels verankert, sei in der Lage, ein Gewicht von 70 Tonnen zu tragen. Selbst die gefüchteten Winde im Grand Can-yon sollen keinen Schaden anrichten können - Sturmböen bis zu 160 Kilometer in der Stunde werde der "Skywalk" problemlos überstehen, so die Konstrukteure aus Las Vegas. Und da es in Arizona gelegentlich auch kleinere Erdbeben gibt, haben die Planer im Auftrag des Hualapai-Indianerstammes - dem Eigentümer der Brücke - auch hier vorgesorgt: Selbst ein Monster-Beben der Stärke acht, das nur 90 Kilometer entfernt stattfinde, könne dem Bauwerk nichts anhaben. Maximal 120 Besucher werden gleichzeitig auf dem "Skywalk" wandeln dürfen, und die Sprecher des Hualapai-Indianerreservates hoffen auf lange Warteschlangen vor allem an den Wochenenden. Denn schließlich soll die 30 Millionen Dollar teure Konstruktion die Aufmerksamkeit der Besucher aus aller Welt auch auf das Rest-Angebot des Stammes lenken, dessen Haupteinnahmequelle in dieser extrem dünn besiedelten Region des amerikanischen Südwestens der Tourismus ist. So gibt es bei den gut 2200 Menschen zählenden Hualapai noch ein "Original-Indianerdorf", eine "Cowboystadt", Hubschrauber-Rundflüge und Jeep-Touren durch den Nationalpark. Doch mit dem "Skywalk" hielten auch erbitterte Diskussionen Einzug in das Reservat. Verstoß gegen Stammes-Sitten?

Die einen sehen in dem Projekt, zu dem auch ein Kino, Restaurants und Andenkenläden gehören, eine atemberaubende Attraktion, die die Kassen füllen soll. Andere wiederum lehnen das "Glas-Monster", in dessen unmittelbarer Nähe bald auch Schnell-Hochzeiten im Las-Vegas-Stil gebucht werden können, als Verstoß gegen traditionelle Stammessitten und Umwelt-Aspekte ab. "Den Grand Canyon kennt jeder. Da ist es doch nur natürlich, wenn man diese Attraktion zum Vorteil unseres Stammes nutzt", verteidigt Hualapai-Sprecher Charles Vaugh gegenüber Medienvertretern die Entscheidung, den schon seit 1996 existierenden Plan des Investors David Jin aus Las Vegas zu realisieren und diesen auch an den Einkünften zu beteiligen. Andere, für die der Grand Canyon als "heilige Stätte" gilt, sehen in dieser Rundum-Kommerzialisierung jedoch auch eine Verletzung historischer Begräbnisstätten. "Wir sollten so mit dem Land und den Ruhestätten unserer Vorfahren nicht umgehen", kritisierten jetzt Hualapai-Angehörige in Interviews mit dem Fernsehsender CNN die Geschäftstüchtigkeit ihrer Stammesmitglieder. Doch Investor Jin plagen keinerlei Gewissensbisse. "Mein Traum war, eine Balance zwischen Form, Funktion und Natur zu finden", schreibt Jin auf der offiziellen Internet-Seite der Glasbrücke, "und der Traum ist nun Realität." Besucher, so Jin weiter, könnten nun jenen Pfad in den Grand Canyon gehen, den sonst nur Adler fliegen.

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