"Seehofer ist uns in den Rücken gefallen"

Nach Einschätzung des Russland-Beauftragten der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), hat Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) mit seiner Moskau-Reise großen politischen Schaden angerichtet. Unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter fragte nach.

"Seehofer ist uns in den Rücken gefallen"
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Herr Erler, wie hilfreich war Seehofers Moskau-Reise für die deutsch-russischen Beziehungen? Gernot Erler: Gar nicht. Denn es gab eine ganze Reihe kalkulierter Unfreundlichkeiten von Herrn Seehofer. Dazu gehört auch ein Interview gegenüber einer russischen Nachrichtenagentur, in dem er im Gegensatz zur europäischen Position Änderungen bei den Sanktionen gegen Russland verlangt und sich sehr deutlich von der Position der Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage abgesetzt hat. Das sind Steilvorlagen für Moskau, um Spannungen in der deutschen und europäischen Politik zu schüren. Aber nach Auskunft eines Regierungssprechers war der Besuch ein ganz normaler Vorgang. Warum also die Aufregung?Erler: Es ist doch klar, dass die Bundesregierung kein Interesse daran haben kann, diesen Vorgang noch weiter zu dramatisieren. Vielmehr macht es Sinn, die Angelegenheit herunterzudimmen. Aber es bleibt eben doch sehr ärgerlich, weil dieses unstillbare Geltungsbedürfnis von Herrn Seehofer dazu geführt hat, dass in Russland jetzt auch Bilder dafür vorliegen, die die Einigkeit der Europäer im Ukraine-Konflikt und bei den Russland-Sanktionen infrage stellen. Seehofer hat dafür geworben, die Wirtschaftssanktionen "in überschaubarer Zeit" zu beenden. Was ist daran so verwerflich?Erler: Das Schlimme daran ist, dass hier eine klare Position der EU und der Bundesregierung konterkariert wird. Diese Position beinhaltet nicht irgendeinen Zeitpunkt. Sie besagt, dass das Minsker Abkommen zur Befriedung der Lage in der Ukraine Punkt für Punkt von beiden Seiten erfüllt werden muss. Also auch von Moskau. Davon wiederum hängt die Aufhebung der Sanktionen ab, die im Dezember bis Ende Juli 2016 verlängert worden sind. Das ist eine klare Konditionierung. Die russische Seite kennt also den Weg zum Ende der Sanktionen. Seehofer schießt da nun quer. Offensichtlich führen die Sanktionen aber nicht dazu, dass sich Moskau in der Ukraine-Frage bewegt. Muss man dann nicht neu darüber nachdenken?Erler: Niemand behauptet, dass die Sanktionen für so viel Druck sorgen, dass sie allein schon eine Garantie für die Umsetzung des Minsker Abkommens wären. Wir haben aber auch festgestellt, dass Russland vor dem Hintergrund seiner äußerst prekären Wirtschaftslage ein sehr großes Interesse an der Aufhebung der Sanktionen hat. Putin braucht dringend einen Erfolg, denn ihm gehen die Antworten auf die sich verschlechternde Lage auch im Sozialbereich aus. Insofern macht es Sinn, an der Konditionierung festzuhalten. 20 Prozent des deutsch-russischen Handels und 50 Prozent der deutschen Investitionen in Russland entfallen auf Bayern. Soll Seehofer das ignorieren?Erler: Wenn Seehofer mit ein paar Wirtschaftvertretern nach Moskau gefahren wäre, dann wäre das sein gutes Recht gewesen. Aber er hat sich in einer Art und Weise geäußert, die der destruktiven Haltung Moskaus Vorschub leistet. Das geht nicht. Was tut denn die Bundesregierung, um das Verhältnis zu Russland zu entspannen?Erler: Wir sind mit der russischen Seite, was die Ukraine angeht, ständig im Gespräch. In dieser Woche hat die Bundeskanzlerin mit Putin telefoniert. Und wir stehen auch kurz vor einem weiteren Treffen der Außenminister. Das zeigt auch die Bereitschaft Russlands, zu Lösungen zu kommen. Hier ist Seehofer der Bundesregierung in den Rücken gefallen. vetExtra

Gernot Erler (SPD) ist seit 1987 Mitglied des Deutschen Bundestags und seit Januar 2014 Russland-Beauftragter der Bundesregierung. red

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