Sehnsucht nach der Festung Amerika

Washington · In den USA geht die Angst um - als wäre nicht Paris, sondern Washington Ziel der Terroristen gewesen. Syrische Flüchtlinge haben es schwer: Drei Behördenchefs müssen garantieren, dass von ihnen kein Risiko ausgeht.

Washington. Sie hat etwas Bizarres, die Flüchtlingsdebatte, wie die Amerikaner sie nach den Pariser Anschlägen führen. Man könnte meinen, der Terror des "Islamischen Staats" habe nicht die Stadt an der Seine getroffen, sondern New York, Chicago oder Washington. Bei aller verständlichen Angst, auch wenn man nachvollziehen kann, dass Paris das Trauma des 11. September 2001 sofort wieder aufleben ließ, der Tenor der Diskussion macht vor allem eines deutlich: Selten hat isolationistisches Denken solche Triumphe gefeiert. Die Sehnsucht nach der Festung Amerika, geschützt durch zwei Ozeane, fernab der Probleme Europas, der Wirren des Nahen Ostens, bestimmt den Diskurs wie schon lange nicht mehr.
David Bowers ist Bürgermeister von Roanoke, einer 100 000-Einwohner-Stadt im westlichen Virginia. Ein Demokrat, kein Republikaner. In einem offenen Brief verglich er die Gefahrenlage im Jahr 2015 mit der des Jahres 1941. Bowers erinnerte an den Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor Zehntausende Bürger japanischer Herkunft in Internierungslagern einsperren ließ. "Die Gefahr, die heute von Isis ausgeht, ist genauso ernst wie jene, die damals von unseren Feinden ausging", dozierte er und suggerierte, sich ein Beispiel an Roosevelt zu nehmen.
Prompt meldete sich, neben protestierenden Parteifreunden, einer jener Japanese-Americans zu Wort, die einst in den Lagern einsaßen. George Takei, damals noch ein Kind, später Schauspieler, bekannt aus der Serie "Raumschiff Enterprise". So wie man den internierten "Feinden" seinerzeit keinen einzigen Fall von Spionage oder Sabotage nachweisen konnte, hätten sich die 1854 Syrer, die man im Zuge des Bürgerkrieges eingelassen habe, keiner einzigen terroristischen Handlung schuldig gemacht, schrieb er gegen die um sich greifende Hysterie an. "Uns hat man allein danach beurteilt, wie wir aussahen, und das ist so unamerikanisch, wie etwas nur sein kann." Es wäre fatal, diesen Fehler zu wiederholen.
Was die Causa Roanoke illustriert, ist der Grad der Verunsicherung, der sich eines Landes bemächtigt, das sich doch mit den Worten am Sockel der Freiheitsstatue als Fluchtburg versteht für die "geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren". Eine Novelle des Repräsentantenhauses, vorige Woche verabschiedet von 242 Republikanern und 47 Demokraten, knüpft die Aufnahme syrischer Flüchtlinge an einen bürokratischen Hürdenlauf, der das ohnehin schon komplizierte Verfahren um Jahre verlängern kann. Demnach sollen drei Behördenchefs persönlich garantieren, dass von einem Antragsteller kein Risiko ausgeht. Nicht nur der Minister für Heimatschutz, sondern auch der Direktor des FBI und der Koordinator der Geheimdienste sollen mit ihrer Unterschrift dafür bürgen.
Es ist der Ausdruck einer Stimmung, wie sie Präsidentschaftsbewerber Donald Trump und Ben Carson mit ihrer Macht-die-Schotten-dicht-Rhetorik schüren. Wie absurd es ist, sich in der Terrorismusdebatte auf die Vertriebenen des Syrienkonflikts zu konzentrieren, zeigt schon die Vorgeschichte der Marathonbomben von Boston. Die Täter waren 2002 mit Touristenvisa aus Russland in die USA eingereist, der eine 15, der andere acht Jahre alt. Ihre Eltern bekamen Asyl. Welcher Beamte, fragen kühlere Köpfe, habe 2002 schon die Radikalisierung des Bruderpaars voraussehen können - in Boston, nicht in der nahöstlichen Ferne.Extra

Hat US-Präsident Obama die Terrormiliz Islamischer Staat unterschätzt? Kritiker halten ihm genau das vor. Jetzt sind Vorwürfe aufgetaucht, dass Topmilitärs die Fortschritte im Kampf gegen den IS nicht immer realistisch darstellten. Das Pentagon untersucht, ob das US-Zentralkommando Erfolgsmeldungen im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat geschönt hat. Analysten von Centcom, wie das Kürzel des für die Nahost-Region zuständigen Militärkommandos in Florida lautet, hätten sich im vergangenen Sommer mit entsprechenden Vorwürfen an den Generalinspekteur gewandt, schrieb die New York Times. Demnach sollen Vorgesetzte geheimdienstliche Einschätzungen der Analysten verändert haben, um etwa die durch Luftangriffe erzielten Fortschritte im Kampf gegen den IS bedeutender erscheinen zu lassen, als sie waren. Auch Erfolge bei der Ausbildung des irakischen Militärs seien in vorteilhafterem Licht dargestellt worden. Ermittler untersuchen jetzt große Mengen von E-Mails und andere elektronische Daten. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort