Sei willkommen, Euro!

Hypothekenkrise, Rekord-Benzinpreise, Massenentlassungen: Die US-Bürger stöhnen unter den Auswirkungen der lahmenden Konjunktur. Die wiederum profitiert von Touristen aus Europa. Denen sitzt momentan der Geldbeutel locker.

New York. Im "Gotham Bar and Grill" im New Yorker Stadtteil Gramercy Park spricht man deutsch. Man: das ist Kellnerin Paula, die den Gästen aus "Germany" an diesem Abend die Speise- und Weinkarte erklärt. Im traditionsreichen Restaurant im art-Deco-Stil ist an diesem Abend kein Tisch mehr frei. Rezession? Davon ist hier nichts zu spüren. Während die US-Bürger angesichts Hypothekenkrise, Rekord-Benzinpreisen und Massenentlassungen vor allem in der Kreditwirtschaft derzeit jeden "Quarter" dreimal umdrehen, profitiert die Konjunktur vor allem in der Touristenmetropole New York von den Spendierhosen der Europäer. Noch nie seit der Einführung des Euro war der Sprung über den großen Teich so verlockend wie in diesen Wochen: Die extreme Dollarschwäche macht den "Big Apple" und andere US-Metropolen zum Shopping- und Vergnügungsparadies. War 2007 schon ein Rekordjahr für die Tourismusmanager New Yorks, so scheint das laufende Jahr alles bisher Erlebte in den Schatten zu stellen. Im ersten Quartal 2008 zählten die Statistiker und Marketingexperten der Stadt rund eine Million mehr Besucher als im Vorjahreszeitraum. Die Deutschen stellen hinter den Briten und Japanern mitlerweile das drittgrößte Touristenkontingent. Und immer häufiger finden sich in den Schaufenstern der Mode-, Antiquitäten- und Souvenirgeschäfte der Metropole am Hudson-River Schilder mit der Aufschrift "Euro welcome". In der Stadt, die niemals schläft, zeigen sich Gewerbetreibende hellwach und akzeptieren mittlerweile liebend gerne auch eine Währung, die bei ihrer Einführung von den Amerikanern noch müde belächelt wurde. Und mancherorts findet sich - um den Touristen die Kaufentscheidung zu erleichtern - der Euro auf den Preislisten neben dem Dollar. Wie auf der Weinliste im "Modern", dem stilvoll-kühlen Gourmet-Restaurant im "Museum for Modern Art" in der 54. Straße. Auf den Dollar gibt manch einer keinen Cent mehr

Manager Danny Meyer, einer der Erfolgsgastronomen der Stadt, nutzt diese Strategie erfolgreich zur Umsatzsteigerung: "So erkennen die Gäste aus Europa am besten, welche Schnäppchen sie hier machen können." Als offizieller Wegbereiter der "Sei willkommen, Euro!"-Bewegung in New York gilt Trödelladen-Besitzer Billie Leroy aus dem Stadtteil Chelsea, der zu Jahresbeginn ein handgemaltes Schild in die Auslagen gestellt und damit die Patrioten unter den städtischen Gewerbetreibenden geschockt und provoziert hatte. "Euros only", heißt es bei ihm - den schwachen "Greenback" mag er am liebsten gar nicht mehr in die Hand nehmen. Und die Euros fließen - denn welche Gelegenheiten sich bei einem Wechselkurs von 1,58 Dollar pro Euro bieten, zeigt ein Bummel durch die Straßen Manhattans überdeutlich. So ergibt sich bei Digitalkameras, I-Pods, I-Phones und Computern derzeit rund ein Drittel Ersparnis gegenüber den in Europa verlangten Preisen, und Marken-Jeans lassen sich in New York mit einem Währungsdiscount von gut 50 Prozent in den Einkaufskorb legen. Bei Kosmetika und Parfums liegen die Vorteile gar bei bis zu 60 Prozent. Und auch beim größten Kostenfaktor in New York, den Hotelpreisen, zeigt der starke Euro seine Sonnenseite. Kaum ein Zimmer mittlerer Qualität lässt sich derzeit in der Stadt für unter 300 Dollar pro Nacht mieten - für viele US-Bürger eine kaum mehr ertragbare Summe, doch bei umgerechnet 180 Euro pro Nacht für Europäer doch wieder eine attraktive Rate. "Der einheimische Tourismus ist rückläufig, doch das machen wir locker mit Besuchern aus dem Ausland wett", freut sich Marriott-Manager Mike Stengel, dem ein halbes Dutzend Hotels in New York unterstehen. Die Folgen von 9/11, das auch auf den Besucherverkehr einen massiven Einfluss hatte, seien längst vergessen, heißt es immer wieder. Auch das Broadway-Theater- oder Musicalticket wird durch den Dollar-Verfall zum Schlussverkaufsobjekt. Der Durchschnittpreis pro Eintrittskarte liegt zwischen 75 und 100 Dollar, also gerade einmal 45 und 65 Euro. Wo um ihre Zukunft zitternde Wall-Street-Angestellte - gut 20 000 von ihnen soll in diesem Jahr die Entlassung drohen - fernbleiben, füllen Zuschauer aus Deutschland, Italien oder Spanien die besten Logenplätze.

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