Seifenblasen und Nebelwerfer

BERLIN. Das vertraute "Ja, aber" der Politik hat in Berlin mal wieder Konjunktur. Alle Parteien wollen angeblich die große Steuerreform, die das ganze verkorkste System entrümpeln und Klarheit schaffen soll.

Großes Tam-Tam und gegensätzliche Meinungen: Die Wortführer der Parteien finden ein ums andere Mal Vorwände, um nicht den Beweis für ihre Behauptung antreten zu müssen. Die Union will plötzlich nichts mehr von ihrer Ankündigung wissen, so bald wie möglich ein fertiges Steuerkonzept mit dem Ziel einer radikalen Steuervereinfachung vorlegen zu wollen. Und die Bundesregierung denkt nicht daran, die Initiative zu ergreifen. Der Rückzug kam in Schritten und hatte in seiner skeptischen Grundhaltung so gar nichts mehr zu tun mit den vollmundigen Versprechungen aus der Vorweihnachtszeit. Erst Anfang Dezember hatte der CDU-Parteitag in Leipzig fast euphorisch das radikale Steuerkonzept ihres Finanzexperten Friedrich Merz bejubelt. Jetzt hat sowohl die CDU-Vorsitzende Angela Merkel als auch den Autor Merz selbst der Mut verlassen. Man könne sich "eine solch scharfe Entlastung gar nicht leisten", sagt die eine, während der andere unkt, eine "schnelle Nettoentlastung kommt zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Frage". Zuvor hatte schon der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber erklärt, mehr als zehn Milliarden Euro Entlastung seien "nicht drin". Was jegliche Hoffnung auf einen Konsens in dieser Frage schwinden lässt, ist die drastische Reaktion der Bundesregierung, die Vize-Regierungssprecher Hans Langguth am Montag vortrug. Er sprach von Merkels "Nebelwürfen" und "Seifenblasen", die jetzt geplatzt seien. Selten habe ein Vorhaben wie "die mit großem Tam-Tam vorgetragene Bierdeckelreform eine so schnelle Beerdigung erfahren" wie das Merz-Konzept. Langguth behauptete zwar, das Projekt bleibe auf der Tagesordnung, doch werde die Bundesregierung selbst nicht aktiv werden. Die Union betreibe "ein unlauteres Spiel". Überhaupt schossen die Genossen am Montag aus allen Rohren. SPD-Fraktionschef Franz Müntefering nannte die Äußerungen Merkels, der Regierung fehle die Kraft zur Umsetzung, "ziemlich dumm und ziemlich dreist". Die Union habe "überall gekniffen", "blase die Backen auf" und lasse hinter verschlossenen Türen den Mut vermissen. Müntefering spielte auf den Vermittlungsausschuss an, in dem die Union kurz vor Weihnachten einen deutlicheren Subventionsabbau verhindert hat. Dergestalt attackiert, beeilte sich Merkel (auf Anfrage) zu beteuern, die CDU halte unverändert am Ziel einer durchgreifenden Steuerreform fest. Das klang nicht sehr überzeugend, zumal sie keinen Hinweis darauf lieferte, ob die Union das Merz-Konzept tatsächlich zu einem Gesetzentwurf ausarbeiten will. Auch die Merz-Äußerungen klingen nicht mehr so positiv, obwohl sich an der Ausgangslage eigentlich nichts geändert hat. Um die Verwirrung komplett zu machen, betonte Bayerns Ministerpräsident Stoiber seinen Optimismus. Er sehe "alle Chancen, den Reformstart in diesem Jahr zu schaffen". CDU-Vize Jürgen Rüttgers warnte mit einem Seitenhieb auf Merkel vor einem Reformstopp. Gleichzeitig kündigte der SPD-Finanzpolitiker Schultz bis zum Sommer ein Vereinfachungskonzept an. Von all dem unbeeindruckt will die FDP im Februar ihr Konzept als Gesetzentwurf einbringen. Doch die liberale Variante hat keine Chance, "weil es nicht aufkommensneutral finanziert ist" (Langguth). Das FDP-Modell sei "mehr Marketing als Politik", sagte der Regierungssprecher.

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