"Selbstbeteiligung ad absurdum geführt"

TRIER. Die Praxisgebühr sorgt weiter für Ärger - bei Ärzten wie Patienten. Während einige Krankenkassen angekündigt haben, die Gebühr für ihre Kunden zu bezahlen, wird das Modell eines Münchner Zahnarztes wohl kaum Schule machen: Er zahlt ebenfalls die zehn Euro für seine Patienten aus eigener Tasche - als "Serviceleistung", wie er sagt.

Beim ersten Arztbesuch im Quartal heißt es seit Jahresanfang für jeden Patienten erst einmal in die Tasche greifen: Die so genannte Selbstbeteiligung geht an keinem vorbei, und jedem Arzt wird sie qua Gesetz pro behandeltem Patienten von der Krankenkasse vom Honorar abgezogen. Zehn Euro Kassengebühr - eine unumgängliche Prozedur? Nicht unbedingt. Ein Münchner Zahnarzt verzichtet bewusst darauf. Er bezahlt die Zuzahlung aus eigener Tasche. "Die zehn Euro verunsichern die Patienten", argumentiert Doktor Thomas Koty. "Außerdem ist der zusätzliche Verwaltungsaufwand für das Eintreiben der Gebühr einfach zu groß." Da verzichtet er also lieber ganz - und zieht sich den Zorn einiger Kollegen zu. "Es hat schon Drohbriefe gegeben", sagt Koty. Trotzdem wolle er weitermachen: "Bevor die Zahnärztekammer nicht eingreift, zahlt kein Patient bei mir diese zehn Euro." Die bayerische Kammer jedoch droht schon an, gegen Koty vorzugehen.Kritiker sprechen von einem PR-Gag

Auch in bundesweiten Ärztezeitschriften regt der Fall Koty zu Diskussionen an. "Ich habe davon gelesen", sagt der Trierer Augenarzt Dr. Bernd Ellerhorst, Vorsitzender des Verbandes der niedergelassenen Ärzte im Bereich Trier. "Meines Erachtens ist das ein PR-Gag", sagt er. Außerdem habe die Praxisgebühr eine nicht unbedeutende psychologische Wirkung auf die Patienten: "Der ständige Arztwechsel entfällt, man bleibt lieber bei seinem Hausarzt, und man geht nicht mehr wegen jeder Bagatelle zum Arzt", sagt Ellerhorst. "Ich finde, mit der Aktion des Münchner Kollegen wird das Modell der Selbstbeteiligung ad absurdum geführt. Wir Ärzte können nicht mit Honorarverzicht das Problem der Kassen lösen", sagt der Trierer Allgemeinarzt Dr. Arno Bauschert. Übernehme man die zehn Euro Praxisgebühr pro Quartal, fielen über 20 Prozent der Einnahmen weg. Das Argument mit dem Verwaltungsaufwand versteht Bauschert jedoch gut: "Meine Angestellten haben wegen der Praxisgebühr etwa eineinhalb Stunden Mehraufwand pro Tag." Doch nur in Notfällen könne man auf das Eintreiben der Gebühr zunächst verzichten. "Es gibt ein strenges Regelwerk von der kassenärztlichen Vereinigung - daran halten wir uns", sagt Bauschert.Frust der Ärzte über neue Bürokratie

Bei der kassenärztliche Vereinigung Trier kann man den Frust der Ärzte über die Praxisgebühr verstehen. "Die Bürokratie ist ungeheuer, man kommt sich teilweise vor wie der Bürgerservice im Rathaus", sagt der Vorsitzende Carl-Heinz Müller. Außerdem sei auch in der Region Trier ein Rückgang der Arztbesuche um etwa 15 Prozent zu verzeichnen. Das sei jedoch nicht nur auf die Praxisgebühr zu schieben, sondern vor allem auf die Verunsicherung bei den Medikamenten-Zuzahlungen. "Die Leute haben sich noch im Herbst Medikamente auf Vorrat verschreiben lassen, bevor die Zuzahlungen teurer wurden", so Müller. Außerdem erhöhe sich die Gefahr verschleppter Krankheiten. Trotzdem: Ein Verzicht auf das Eintreiben der Gebühr sei ganz klar illegal. Dieser Meinung ist auch die kassenzahnärztliche Vereinigung Koblenz-Trier. "Der Münchner Arzt verschafft sich dadurch einen ganz klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Kollegen", sagt Michael Reinhard von der Pressestelle in Koblenz. Gäbe es unter den Zahnärzten der Region einen solchen Fall, müsse man ihn prüfen, und es könnte sein, dass er bis vor die Kammer komme. "Das ist aber alles hypothetisch", sagt Reinhard. Ein Trierer Zahnarzt findet das Vorgehen des Münchner Kollegen nicht absurd. "Natürlich hat er einerseits einen Wettbewerbsvorteil, verliert andererseits aber dadurch Geld", sagt Michael Dornoff. "Doch wenn man sieht, wie manche Patienten überall mit ihrem Geld knapsen müssen - ich kann das verstehen." Zur Regel dürfe das Selbstzahlen der Gebühr aber keinesfalls werden.

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