Sozialreformen: "Wer nicht mitzieht, macht das Land kaputt"

BERLIN. Die Diskussion über den Reformkurs von Bundeskanzler Gerhard Schröder ging auch am Mittwoch in unverminderter Schärfe weiter. Während sich die Gewerkschaften klar auf die Seite der Kritiker stellten, erhielt Schröder von Arbeitgeber-Vertretern, der FDP und ehemaligen Funktionsträgern der SPD Zustimmung.

IG-Metall-Vize Jürgen Peters kündigte massive Unterstützung fürdie Initiatoren des SPD-Mitgliederbegehrens an. DieGewerkschaften würden nicht nur Protestaktionen gegen diegeplanten Sozialreformen starten, sondern ihre Mitglieder auchzur Teilnahme an dem Begehren aufrufen, sagte Peters dem"Handelsblatt". Die SPD müsse sich entscheiden, ob siesozialdemokratische Partei bleiben oder "Abklatsch einerneoliberalen Denke" werden wolle. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Ludwig Georg Braun, warnte den Kanzler, dem Druck der Gewerkschaften und SPD-Linken nachzugeben. Wenn Schröder weich werde, müsste er "abtreten", sagte er der "Berliner Zeitung". Ähnlich äußerte sich Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Auch der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle warnte davor, die "Agenda 2010" zu verwässern. Wer jetzt bei den Reformen nicht mitziehe, "der macht das Land kaputt". Westerwelle bot dem Kanzler an, den Reformen im Bundestag zur Mehrheit zu verhelfen. Hintergrund: Würden die zwölf "Abweichler" aus der SPD-Bundestagsfraktion bei ihrer ablehnenden Haltung bleiben, wäre die Verabschiedung der Gesetzentwürfe gefährdet. Unterstützung erhielt Schröder auch von pensionierten Sozialdemokraten. Der frühere SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Hans Jochen Vogel mahnte die Kritiker, Schröders Vorschläge "vorschnell" abzulehnen. Bei einem Scheitern der Agenda könne der Kanzler "nicht einfach so weiter machen, als wenn nichts gewesen wäre". Er deutete damit die Möglichkeit eines Rücktritts von Schröder an. Auch Klaus Bölling, ehemaliger Regierungssprecher des Bundeskanzlers Helmut Schmidt, stellte sich hinter den Kanzlerkurs. Es gehe um die Regierungsfähigkeit der SPD, sagte Bölling im Inforadio Berlin. Nach Ansicht des Schröder-Freundes und Chefs des Umfrage-Instituts "Forsa", Manfred Güllner, braucht der Kanzler eine Mitgliederbefragung nicht zu fürchten. Es sei nämlich nicht die Basis, die protestiere, sondern "einige Funktionärskader, die sich völlig immun gemacht haben gegen die gesellschaftliche Realität". Einer der Angesprochenen, der SPD-Abgeordnete Ottmar Schreiner, hat indes eine andere Wahrnehmung. Er bekomme so viele Zuschriften und E-Mails wie noch nie. Angesichts der "tiefgreifenden Diskussion" innerhalb der Partei könne man nicht einfach sagen "Augen zu und durch". Schreiner warnte im ZDF davor, "aus einer Sachfrage einer Personalfrage zu machen". Allen Beteiligten sei am ehesten gedient, wenn zum Sonderparteitag am 1. Juni ein vernünftiger Kompromiss gefunden werde.

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