SPD erwartet klare Worte Merkels zu Erdogans Repressionskurs

Berlin/Istanbul (dpa) · Menschenrechte, Flüchtlingspakt, Visumfreiheit - das Treffen der Kanzlerin mit dem türkischen Staatschef Erdogan könnte heikel werden. Merkel will ihrer Linie treu bleiben - doch der Koalitionspartner murrt.

Angesichts der eingeschränkten Grundrechte, Demokratie und Pressefreiheit in der Türkei erwartet die SPD von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine klare Ansage an Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Dieser verletzte rechtsstaatliche Grundregeln und setze auf Repression und Ausgrenzung, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann der „Bild am Sonntag“. „Dazu darf Deutschland nicht schweigen.“ Die Kanzlerin reist an diesem Sonntag zu einem Kurzbesuch nach Istanbul, um an einem UN-Nothilfegipfel teilzunehmen. Am Montag ist auch ein Treffen mit Erdogan geplant.

Merkel sollte bei ihrem Besuch ein deutliches Zeichen setzen und sich mit Vertretern der türkischen Opposition treffen, sagte Oppermann. Mit Erdogan müsse sie „jetzt Klartext reden“. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte der Zeitung: „Merkel darf vor Erdogan nicht einknicken, nur damit er ihr und Europa weiter die Flüchtlinge vom Hals hält.“ Merkel setzt trotz aller Probleme bei der Umsetzung des Flüchtlingspakts auf einen langfristigen Erfolg. Wenn Schwierigkeiten auftauchten, versuche sie, diese zu überwinden oder andere Wege zu finden, sagte sie der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Der Flüchtlingspakt, den Merkel maßgeblich vorangetrieben hat, sieht vor, dass Flüchtlinge, die aus der Türkei auf griechische Inseln übersetzen, zurückgeschickt werden. Für jeden syrischen Flüchtling soll ein anderer Syrer legal aus der Türkei in die Europäische Union einreisen dürfen. Deutschland hat auf Grundlage der Vereinbarung bislang 157 Flüchtlinge aufgenommen.

Kritik: Zu starke Abhängigkeit von der Türkei

Am Freitag hatte das Parlament in Ankara auf Betreiben Erdogans die Immunität von mehr als einem Viertel der Abgeordneten aufgehoben. Ihnen drohen nun Strafverfolgung und Mandatsverlust. Betroffen sind vor allem Abgeordnete der pro-kurdischen HDP, die Erdogan den „verlängerten Arm“ der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nennt. Merkel äußerte Verständnis für Kritik an den Verhältnissen in der Türkei. Sie wandte sich aber gegen Kritik, die immer wieder das Scheitern des Flüchtlingspaktes vorhersage. „Was mich irritiert, ist, dass ich manchmal fast so etwas wie eine Freude am Scheitern beobachte.“ Unter anderem hat sich CSU-Chef Horst Seehofer skeptisch über das Abkommen geäußert. Nach anderen Unionspolitikern forderte auch die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach den Abbruch der Verhandlungen mit der Türkei über einen EU-Beitritt und die geplante Visumfreiheit: „Angesichts der dramatischen Entwicklungen in der Türkei müsste die EU den Beitrittsprozess komplett abbrechen. Das ist die Botschaft, die Merkel überbringen sollte.“ Am Abend will sich Merkel mit Vertretern der türkischen Zivilgesellschaft treffen. Ob Mitglieder der HDP, andere kurdische Organisationen oder regierungskritische Journalisten dabei sind, war noch offen.

Kritiker werfen Merkel vor, sich mit dem Flüchtlingsabkommen in eine zu starke Abhängigkeit von der Türkei und Erdogan begeben zu haben - und sich deswegen mit klaren Worten zurückzuhalten. Am Sonntag wählt zudem ein Sonderparteitag der AKP in Ankara einen Erdogan-Gefolgsmann als neuen Chef der Partei und künftig auch der Regierung. Als einzigen Kandidaten hat die islamisch-konservative Regierungspartei den bisherigen Verkehrsminister Binali Yildirim aufgestellt. Der 60-Jährige ist ein langjähriger Weggefährte Erdogans.

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