SPD-Futter für die "Heuschrecken"

Berlin. (dpa) Mit seinem Vergleich der Kapitalismus-Kritik von Franz Müntefering und der antijüdischen Hetze der Nazis hat der Münchner Historiker Michael Wolffsohn für Empörung in der SPD gesorgt. Aus CDU und CSU gab es am Dienstag vereinzelt Verständnis für Wolffsohns Vergleich.

Der Streit um die Kapitalismus-Kritik wird immer zügelloser. Historiker Michael Wolffsohn warf am Dienstag SPD-Chef Franz Müntefering vor, mit seiner Kritik gegen Unternehmer so zu hetzen wie einst Nazis gegen Juden. "Der Mann hat sie nicht alle", schallte dem Professor an der Bundeswehr-Hochschule in München daraufhin heftiger Protest aus der SPD entgegen. Wolffsohn ist zumindest kein unbeschriebenes Blatt: Erst im vergangenen Jahr hatte er für Aufsehen und erheblichen Ärger bei Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) gesorgt, weil er Folter an Terroristen als legitim bezeichnete. Struck fand damals keine rechtliche Handhabe, den Wissenschaftler zu entlassen. Durch die massive Wolffsohn-Attacke schlägt nun die Debatte um die Kapitalismus-Kritik eine neue, ungeahnt hohe Welle.Clement will Ende der Diskussion

Von allen Seiten wurde Müntefering gestern jedoch in Schutz genommnen, auch vom Zentralratsvorsitzenden der Juden, Paul Spiegel. Es mehren sich die Stimmen, die ein Ende der Diskussion fordern. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement prescht dabei voran. Er hofft, dass der erhitzte Streit über mangelnde soziale Verantwortung der Unternehmen nun langsam abebbt. Deutschland brauche schließlich nationales wie auch internationales Kapital, so Clement. Ohnehin hatte sich der Minister nur zähneknirschend hinter Müntefering gestellt, denn Prügel für die Bosse und Investoren gehört nicht unbedingt zum Politik-Stil des Wirtschaftsministers. Bei den Genossen merkt man zudem, dass sich der Wind in der Debatte dreht - und langsam aber sicher zurück bläst. Beunruhigt ist man beispielsweise unter Sozialdemokraten, dass sich auf der ominösen "Heuschrecken-Liste" der SPD-Fraktion ein Investor findet, der 1998 noch unter Verkehrsminister Müntefering den Zuschlag bei der Privatisierung der Autobahn-Raststättenkette "Tank & Rast" erhielt. Der Verkauf an drei Finanzinvestoren brachte damals 1,2 Milliarden Euro ein. Und auch aus der Zeit der Regierung Schröder stammt das veränderte Finanzmarkt-Förderungsgesetz, mit dem Deutschland nach Ansicht von Experten erst für solche Fonds geöffnet wurde, die Müntefering heute kritisiert. Außerdem macht die Genossen noch etwas nachdenklich: Zwar hat die Kapitalismus-Schelte zu einem breiten, gesellschaftlichen Diskurs geführt, aber laut Umfragen wohl keinen Mobilisierungsschub für die angeschlagene SPD in Nordrhein-Westfalen gebracht. Dort wird am 22. Mai gwählt, und Rot-Grün zittert dem Urnengang nach wie vor entgegen. Laut Demokopen ist "Müntes Manöver" zu duchsichtig gewesen. Auch wenn die Fronten im Kapitalismus-Streit mittlerweile quer durch die Parteien verlaufen, wird insbesondere in der SPD die Frage nach den Konsequenzen immer lauter gestellt. Die Partei will mehr: So fordert der Saarländer Heiko Maas die Wiedereinführung der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen bei Unternehmensverkäufen, einst von Rot-Grün selbst abgeschafft. Und den Linken in der SPD würde noch einiges mehr einfallen, was man beschließen könnte, wie Eingriffe beim Aktionärsstimmrecht oder bei den Managergehältern. Der Druck im roten Kessel wächst also. Noch schweigt der Kanzler. Nach der NRW-Wahl dürfte sich das ändern.

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