SPD ruft die Geister der Modernisierung

Berlin · Andrea Nahles sagte: "Der Geist ist aus der Flasche." Die SPD-Generalsekretärin meinte die Reform ihrer Partei, die am Montag die Führungsgremien passierte. Die Sozialdemokraten, nicht ohne Grund häufig als verstaubter Hinterzimmerverein mit überalterter Mitgliederstruktur wahrgenommen, wollen sich gründlich modernisieren.

Berlin. Manches klingt schon fast wie bei den "Piraten". Zum Beispiel die Mitgliederbeteiligung. Immer, wenn mehr als ein Kandidat vorhanden ist, sei es für ein öffentliches Amt, ein Parlamentsmandat oder den Vorsitz einer Parteigliederung, soll es eine Basisentscheidung geben - falls zehn Prozent der Mitglieder sie verlangen oder die Gremien das wollen.
Ebenso demokratisch soll es bei den Inhalten zugehen. Ob auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene - wenn zehn Prozent einer Gliederung ein Mitgliederbegehren unterstützen, muss es zur Abstimmung kommen. Und wenn daran dann mehr als ein Fünftel der Mitglieder teilnehmen, gilt das Mehrheitsergebnis. Theoretisch könnten 51 000 der 500 000 Sozialdemokraten so gegen 49 000 andere den Afghanistan-Einsatz blockieren oder die Hartz-Reformen rückgängig machen. "Da wird sich noch manch einer wundern", sagte Andrea Nahles.
Von wegen Durchregieren. Die Generalsekretärin räumte ein, dass zum Beispiel beim Reformpaket Agenda 2010 sicher nicht alle Vorhaben dem Basiswillen standgehalten hätten. Andererseits ersetzen Mitgliederentscheide auch künftig nicht das freie Mandat der Abgeordneten. Und über eine ganz besonders spannende Personalfrage, die der nächsten Kanzlerkandidatur nämlich, wird auch nicht an der Basis entschieden werden. Denn die drei möglichen Bewerber, Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel, wollen sich vorher einigen, womit die Bedingung, dass es mehrere Kandidaten geben muss, entfällt.
Entschärft wurde die Parteireform am umstrittensten Punkt: der ursprünglich beabsichtigten Beteiligung von Nichtmitgliedern an Vorwahlen zur Bestimmung von Kandidaten für Ämter und Mandate. Dagegen hatten zahlreiche Landesverbände ihren Widerstand angekündigt. Nun können die Gliederungen selbst entscheiden, ob sie Nichtmitglieder mit abstimmen lassen oder nicht. Generell sollen Sympathisanten ohne SPD-Parteibuch aber mit allen Rechten, auch dem aktiven und passiven Wahlrecht, in den Arbeitsgruppen und Themenforen der Partei mitmachen können. Die Führung erhofft sich von dieser Regelung eine inhaltliche und personelle "Blutauffrischung".
SPD-typisch endete das zähe Ringen um die Verkleinerung der Leitungsgremien auf der Bundesebene: Sie werden meist größer. So wird zwar der Parteirat, ein 90-köpfiges Gremium, abgeschafft, dafür aber soll es einen Parteikonvent mit 200 Delegierten geben, der den Charakter eines kleinen Parteitages zwischen den ordentlichen Parteitagen hat. Diese werden ebenfalls von 480 auf 600 Delegierte verstärkt. Nur der Parteivorstand wird verkleinert, von 45 auf 35 Mitglieder. Abgeschafft wird das kleine Parteipräsidium, der engste Führungskreis. Und: 15 Prozent der Gremienmitglieder auf Bundesebene sollen künftig einen Migrationshintergrund haben.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ist in seinem Amt bestätigt worden. Bei der Neuwahl der Fraktionsspitze zur Halbzeit der Legislaturperiode wurde der 55-Jährige am Dienstag mit rund 94 Prozent wiedergewählt. Bei seiner ersten Wahl vor zwei Jahren hatte Steinmeier 88,7 Prozent Zustimmung erhalten. Der SPD-Bundestagsfraktion gehören insgesamt 146 Abgeordnete an. dpa

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