SPD-Spitze will Sarrazin entsorgen

Nach dem Berliner SPD-Vorstand hat gestern auch der Vorstand der Bundespartei ein Parteiordnungsverfahren gegen Thilo Sarrazin beschlossen. Ziel in beiden Fällen ist ein Ausschluss des früheren Berliner Finanzsenators aus den Reihen der Sozialdemokraten.

Berlin. Gemessen am großen Unbehagen vieler Genossen über den angestrebten Rauswurf Thilo Sarrazins verliefen die Gremiensitzungen der SPD gestern im Willy-Brandt-Haus offenbar weitgehend harmonisch. Teilnehmern zufolge beschäftigte sich das Präsidium nur noch formal mit dem Ausschlussverfahren. Im Parteirat wurde nur eine Gegenstimme gezählt. Und im eigentlichen Beschlussgremium, dem 45-köpfigen Vorstand, gab es lediglich eine Stimmenenthaltung von DGB-Vorstandsmitglied Dietmar Hexel.

Auch Europaparlamentarier Martin Schulz, der sich am selben Tag via "Bild" noch kritisch über einen solchen Beschluss zitieren ließ, stimmte zu. Alles andere wäre ein Affront gegen Parteichef Sigmar Gabriel gewesen. Er hatte sich frühzeitig auf einen unversöhnlichen Kurs gegen Sarrazin festgelegt.

Vor laufenden Kameras verteidigte Generalsekretärin Andrea Nahles dann die Entscheidung mit dem Hinweis, dass sie von den "aktiven gewählten Mitgliedern" der SPD-Spitze getroffen worden sei. Das war ein Seitenhieb gegen prominente innerparteiliche Kritiker wie Peter Struck und Peer Steinbrück, die nicht mehr an vorderster Front bei den Sozialdemokraten stehen. Auch der Hamburger Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi war Sarrazin öffentlich zur Seite gesprungen und will ihn vor dem Parteigericht verteidigen. Der Beschluss selbst enthält nach Angaben von Nahles noch keine Begründung für einen Rausschmiss. Sie werde aber "in den nächsten Wochen" nachgereicht.

Mit dem Fall wird sich nun zunächst die Schiedskommission von Sarrazins Heimatverband in Berlin-Wilmersdorf beschäftigen. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob der SPD durch seine Äußerungen über angeblich dümmere muslimische Einwanderer und juden-typische Gene ein schwerer Schaden entstanden ist. Die Schiedskommission muss dazu eine schriftliche Einschätzung verfassen und Sarrazin zur Stellungnahme vorlegen.

Danach kommt es zu einer mündlichen Verhandlung, auf deren Grundlage der Kreisvorstand eine Entscheidung trifft. Dagegen kann Sarrazin Berufung einlegen. In diesem Fall wird die Sache in der Landesschiedskommission weiter verhandelt. Kommt es auch dort zu keinem allseits akzeptablen Ergebnis, geht die Angelegenheit an die Bundesschiedskommission der SPD. "Auf diese Weise dürfte sich das Verfahren ein Jahr hinziehen", heißt es unter Rechtsexperten der Partei.

Durch seinen gestrigen Beschluss kann sich der Bundesvorstand mit Anträgen und Begründungen in das Ausschlussverfahren einschalten. Sarrazin habe aber "absolut jede Möglichkeit, sich zu erklären", versicherte Nahles, die auch die Verfahrensbevollmächtigte seitens der Bundes-SPD ist.

Extra Kurt Beck hat in einem Interview mit dem Radiosender RPR1 eingeräumt, es sei "vieles richtig, was die Beobachtung der realen Situation angeht", aber Sarrazin neige zu maßlosen Überspitzungen: "Wenn er anfängt, von Gen-Vorteilen zu schwadronieren, die Kinder von Akademikern hätten, und ähnlichem mehr, dann muss ich sagen, hat er ein Rad ab." Der SPD-Ministerpräsident hält ihn aber für einen "exzellenten Zahlenmann." Sarrazin hatte in Becks Regierung lange als Staatsekretär für Finanzen gearbeitet. Das Partei-Ausschlußverfahren sieht Beck grundsätzlich nicht als "richtige Antwort auf inhaltliche Auseinandersetzungen" an. Sarrazin müsse aber den ersten Schritt machen und erklären, dass seine Aussagen hinsichtlich der Gen-Fragen "dummes Zeug" seien.

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