Spezialkommando mit Eigenleben?

BERLIN. Die Foltervorwürfe des Deutsch-Türken Murat Kurnaz gegen Bundeswehrsoldaten versetzen Berlin in Aufregung. Führen die Spezialkräfte ein Eigenleben?

Murat Kurnaz ist sich sicher. "Ich habe keine Zweifel, dass es Deutsche gewesen sind. Sie haben perfektes Deutsch gesprochen, und auf ihrer Uniform habe ich die deutsche Flagge gesehen", wiederholte er Anfang der Woche in einer Talkshow. Der Vorwurf ist massiv: Die Soldaten hätten ihn geschlagen, getreten, misshandelt, so der 24-jährige Deutsch-Türke. Das politische Berlin ist deshalb in heller Aufregung. Ein Folterskandal bei der Bundeswehr, ausgerechnet verübt durch Mitglieder der Eliteeinheit "Kommando Spezialkräfte" (KSK)? Der Verteidigungsausschuss des Bundestages nahm sich gestern der Sache an. Kurnaz hatte berichtet, dass er Anfang Januar 2002 in einem US-Gefängnis im südafghanischen Kandahar von deutschen Soldaten verhört und misshandelt worden sei, bevor er später für mehr als vier Jahre in das US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba gebracht wurde. Der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Wichert, dementierte im Ausschuss die Vorwürfe. Inzwischen sind nach seinen Angaben von 60 befragten Soldaten dienstliche Erklärungen abgegeben worden, in denen Misshandlungen oder die Kenntnis davon bestritten werden. Insgesamt 69 Aufforderungen seien verschickt worden. Freiwillige Erklärungen werden auch noch von 23 inzwischen ausgeschiedenen Soldaten erwartet. Bislang gebe es keine Beweise für einen "körperlichen Kontakt" von KSK-Angehörigen zu Kurnaz, so Staatssekretär Christian Schmidt (CSU). Allerdings hatte dem Vernehmen nach mindestens ein Soldat angegeben, dem Deutsch-Türken im Januar 2002 in Kandahar begegnet zu sein. Bei der Einweisung in den Wachdienst hätten die US-Amerikaner darauf hingewiesen, dass "einer von euch" im Lager sei. "Du warst wohl auf der falschen Seite", will der Soldat daraufhin bei einer Begegnung zu Kurnaz gesagt haben. "Wir haben aber keine Erkenntnis darüber, dass eine Befragung stattgefunden hat, bei der deutsche Soldaten beteiligt gewesen sind", hob ein Sprecher des Verteidigungsministeriums gestern hervor. Der Kontakt sei zwar als "ein Aspekt" gemeldet worden, hieß es weiter, habe die politische Führung im Verteidigungsministerium jedoch nicht erreicht. Ein klares Versäumnis. Rudolf Scharping (SPD) war damals Verteidigungsminister. Laut Ausschussmitgliedern habe Scharping immer nur sehr unzureichend über KSK-Aktivitäten beim US-geführten Anti-Terrorkampf berichtet. Daher wird spekuliert, ob dem Ministerium 2002 womöglich die Aktivitäten des Kommandos - dessen Einsätze der Geheimhaltung unterliegen - zeitweise entglitten sind und ob die Spezialtruppe sogar ein gefährliches Eigenleben entwickelt hat. Noch ist offen, ob sich ein Untersuchungsausschuss mit dieser prekären Angelegenheit befassen wird.

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