Spießrutenlauf für die Linkspartei

BERLIN. Konstituierende Sitzung zum 16. Deutschen Bundestag: Bei allen Anzeichen großkoalitionärer Einigkeit ist ein erster Akt, der abgesprochen war, misslungen: Die Wahl des Linkspartei-Vorsitzenden Lothar Bisky zum Bundestagsvizepräsidenten kam nicht zu Stande.

Der neue Bundestag ist voller geworden. Statt 603 muss das Plenum jetzt 614 Parlamentariern Platz bieten. Zur konstituierenden Sitzung des 16. Bundestages sind die Sitzreihen beinah restlos gefüllt. Nur die Regierungsbank ist verwaist. Denn mit dem grundgesetzlich vorgeschriebenen Akt 30 Tage nach der Wahl endet auch die offizielle Amtszeit von Rot-Grün. Gerhard Schröder, der sich wie seine übrigen Kabinettskollegen am Nachmittag die Entlassungsurkunde von Bundespräsident Horst Köhler abholt, hat in der ersten Reihe der SPD-Fraktion Platz genommen. Neben ihm sitzen Parteichef Franz Müntefering und der scheidende Parlamentspräsident, Wolfgang Thierse. Die Linkspartei, die zwei Fraktionsvorsitzende, aber nur einen Stuhl in der ersten Reihe hat, löst das Problem auf salomonische Weise: Ganz vorn darf Lothar Bisky sitzen. Gregor Gysi und Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine haben dem Vorsitzenden der Linkspartei den Vortritt gelassen. Der 64-Jährige soll als einer von sechs Bundestagsvizepräsidenten gewählt werden. Laut Geschäftsordnung steht jeder Fraktion ein Vize-Posten zu. Doch für den 64-jährigen Bisky wird die Wahl zum Spießrutenlauf. Was eigentlich fest verabredet war, geht in drei Anläufen schief. Diese faustdicke Überraschung erwischt auch die Veranstaltungsregie auf dem falschen Fuß. Zunächst einmal müssen neue Stimmzettel gedruckt werden. Vergebliche Mühe. Auf einen vierten geheimen Wahlgang wird schließlich verzichtet. Immerhin dauert das Wahlprozedere zu diesem Zeitpunkt schon mehr als sechs Stunden. Ein weiterer Urnengang soll nun in den nächsten Tagen nachgeholt werden. Dabei hat diese konstituierende Sitzung voller Harmonie begonnen. In seiner Eröffnungsrede weist Alterspräsident Otto Schily (73) ausdrücklich darauf hin, dass in der Demokratie "Macht nur auf Zeit" verliehen wird. Im Streit müsse sich jeder daran erinnern, dass "Fairness und Respekt vor dem politischen Gegner der Schärfe des Arguments nicht schadet, sondern eher nutzt". Dann hat Schily die Lacher auf seiner Seite, als er sich in "ungewohnter Herzlichkeit" eine "private, aber streng überparteiliche Zwischenbemerkung" erlaubt: Sein besonderer Gruß gelte seinem jüngsten Bruder Konrad, der "im jugendlichen Alter von 67" für die FDP in den Bundestag eingezogen ist. Konrad Schily ist nicht der Einzige mit einem politisch vertrauten Nachnamen. Im neuen Bundestag ist auch ein Ole Schröder zu finden, der jedoch im Gegensatz zum scheidenden SPD-Kanzler der CDU angehört. Auch gibt es die Abgeordnete Petra Merkel, die anders als Angela Merkel (CDU) in der SPD-Fraktion sitzt. Übrigens sind gleich neun Müllers im neuen Parlament vertreten. Im alten Bundestag waren es nur sieben. Die Wahl des neuen Parlamentspräsidenten und der übrigen Stellvertreter birgt keine weiteren unliebsamen Überraschungen. Norbert Lammert, ein über alle Parteigrenzen hinweg geschätzter CDU-Kollege und seit 25 Jahren im Bundestag, wird mit einem Traumergebnis von rund 92 Prozent zum Bundestagsoberhaupt gekürt. Streit gibt es dann noch einmal vor der Wahl der Stellvertreter: Vier Vize-Posten gab es im alten Bundestag. Durch die Linkspartei sind es mindestens fünf. Doch Union und SPD wollen sich die Mehrheit im Präsidium sichern. Deshalb ist für die Sozialdemokraten ein zweiter gut dotierter Stellvertreter-Posten verabredet. Immerhin bekommt jeder Vize ein monatliches Grundgehalt von 13 512 Euro. Es sei doch "nicht fair", dass eine Fraktion wie die SPD mit 222 Mandaten genauso viele Stellvertreter bekomme wie FDP oder Grüne mit 61 beziehungsweise 51 Mandaten, erklärt der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Norbert Röttgen. So wird schon mal das großkoalitionäre Miteinander geübt. Die konzertierte Gegenwehr von FDP, Linkspartei und Grünen ("politischer Missbrauch zu Lasten des Steuerzahlers") läuft ins Leere. Röttgens SPD-Amtskollege Olaf Scholz erklärt unumwunden: "Ich stimme den Ausführungen des Kollegen von der CDU/CSU voll inhaltlich zu." Eine ungewohnte Bemerkung, die im neuen Bundestag freilich noch öfter zu hören sein dürfte.

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