Spott und Hohn für Mindestlohn

Berlin. Ein kleiner Punkt in einem langen Gespräch hatte große Wirkung: Seit SPD-Chef Franz Müntefering am Sonntag im Deutschlandfunk vorsichtig Stellung zum Thema Mindestlohn bezog, debattiert die Politik erregt um die Sinnhaftigkeit dieses Instruments.

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel stellte ein "reines Ablenkungsmanöver" zu den Hartz-IV-Reformen fest, eine "unsinnige Beruhigungspille für Gewerkschaften" die bayerische Arbeitsministerin Christa Stewens (CSU). Der Kanzler will sich aus der Diskussion heraushalten, während die Gewerkschaften skeptisch reagierten. Passiert war eigentlich nichts, denn Müntefering hatte ausdrücklich gesagt, er wolle darüber in Ruhe mit den Gewerkschaften reden und frühestens im Herbst entscheiden. Doch kaum war die Meldung auf dem Markt, brach der Proteststurm los. Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) nannte den Vorstoß "töricht und kontraproduktiv", seine Kollegen Georg Milbradt (Sachsen) und Ole von Beust (Hamburg) assistierten mit dem Hinweis, eine Mindestlohn-Regelung bringe überhaupt nichts außer noch höheren Arbeitslosenzahlen. Außerdem sei das Sache der Tarifparteien. Der CDU-Sozialpolitiker Hermann Josef Arentz hält das Thema gar für "absurd", solange die Bundesregierung gleichzeitig flächendeckend Ein-Euro-Jobs schaffen und fördern wolle. Auch für den FDP-Vize und Wirtschaftsexperten Rainer Brüderle ist der Mindestlohn bloß "Valium für die Linke". Tatsächlich ist der Mindestlohn ein heikles Thema. Einerseits würde er die Tarifautonomie unterhöhlen, auf der anderen Seite gilt er als probates Mittel gegen Lohndumping. Zahlreiche Länder in Europa und sogar die USA haben einen Mindestlohn eingeführt, mit höchst unterschiedlichen Sätzen (siehe Grafik unten). In Deutschland existiert kein gesetzlicher Mindestlohn, doch soll das Arbeitnehmer-Entsendegesetz von 1996 gewisse Mindestlöhne am Bau garantieren. In dieser Branche seien Mindestlöhne auch akzeptabel, meinte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement, da der (oft illegale) Druck auf die Löhne am Bau einfach zu stark sei. Clement hält jedenfalls nicht viel von Mindestlöhnen, im Gegensatz zu seinem Parteifreund Kurt Beck, der "die Einführung für sinnvoll" hält. Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz begründet das mit dem zu erwartenden Ansturm von billigen Arbeitskräften aus Mittel- und Osteuropa. Auch der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer plädiert für gesetzliche Regelungen, "weil die Kraft der Tarifpartner schwindet". Allerdings seien regionale und branchenspezifische Einzellösungen nötig.Gewerkschaften beharren auf Tarif-Autonomie

Die Gewerkschaften, im Prinzip für Mindestlöhne, bleiben indes skeptisch. IG-Metall-Chef Jürgen Peters setzt lieber auf die "Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen". Auch der IG-Bau-Vorsitzende Klaus Wiesehügel meint, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sollten Mindestlöhne für die jeweiligen Branchen aushandeln. Wiesehügel zeigte sich am Montag verärgert über den Zeitpunkt der Debatte, weil eine Arbeitsgruppe von SPD und Gewerkschaften gegenwärtig über dem Thema brütet. Müntefering sagte am Montag, er verstehe seinen Vorstoß nur als Beitrag zu einer ausführlichen Debatte, die erst Ende des Jahres Klarheit bringen müsse. Bis dahin leiste er es sich, "noch keine abschließende Meinung zu haben". Bundeskanzler Gerhard Schröder ließ seinen Sprecher Bela Anda erklären, die Bundesregierung sehe in dieser Frage "gegenwärtig keinen Handlungsbedarf".

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