Sprechstunde bei Dr. Obama

In der immer hitzigeren Debatte um die Gesundheitsreform in den USA versucht Präsident Barack Obama die Wogen zu glätten. Bei einem Bürgertreffen appellierte er an seine Gegner, zu Vernunft und Sachlichkeit zurückzukehren.

 Kein Wunderdoktor: Präsident Barack Obama bleibt den Amerikanern bei der Gesundheitsreform ein Rezept schuldig. Foto: dpa

Kein Wunderdoktor: Präsident Barack Obama bleibt den Amerikanern bei der Gesundheitsreform ein Rezept schuldig. Foto: dpa

Portsmouth/Washington. Der Doktor bittet zur Sprechstunde, und 1800 Bürger sind gekommen. Eine "ehrliche und sachliche Debatte" will Präsident Barack Obama mit den Amerikanern beim wichtigsten und emotionsreichsten Sommerthema des Weißen Hauses, der Reform des im weltweiten Vergleich teuersten Gesundheitssystems, führen. Das hatten die Berater des Präsidenten zuvor versprochen, der bei einem "Townhall"-Meeting in Portsmouth (Bundesstaat New Hampshire) dazu in die Offensive gehen wollte.

Der Präsident braucht den Stimmungswandel



Denn Obama braucht dringend einen Stimmungswandel: Jüngsten Umfragen zufolge lehnt eine knappe Mehrheit der US-Bürger seine Reformpläne ab, zwei Drittel sind sogar mit ihrer bestehenden Versicherung zufrieden. Und jene demokratischen Abgeordneten, die sich in den Wahlkreisen um eine Vermittlung der Fakten bemühen, wurden zuletzt oft von Kritikern niedergebrüllt. Es gab Handgreiflichkeiten, manchmal sogar Polizeieinsätze. "Organisierter Mob der Rechten", sagten Obama-Anhänger dazu. "Berechtigte Bedenken der Bürger," sagen dazu die Republikaner.

Nun ist eine überzeugende Therapie gefragt, und Barack Obama greift dazu auf ein bewährtes Wahlkampf-Instrument zurück. "Townhall"-Termine waren der Kern seiner erfolgreichen Kampagne, und sie sollen auch diesmal die Wende bringen. Vor der Halle schwenken Demonstranten Protestplakate, innen gibt es jedoch bereits beim Einzug des Präsidenten stehende Ovationen. Das Beraterteam des Präsidenten hat - trotz anderslautender Beteuerungen - offenbar nicht der Versuchung widerstehen können, vor allem ausgewählte Demokraten in den Saal zu lassen und auch Fragesteller vorzubestimmen.

Die ehrliche Diskussion bleibt aus



Die versprochene ehrliche Diskussion bleibt deshalb aus. Und wer mag schon einen Therapeuten, der zunächst einmal geschlagene 25 Minuten wie ein Professor doziert, bevor er überhaupt die erste Frage zulässt? Die kommt, was kaum Zufall sein dürfte, von einem Demokraten-Volksvertreter, der von Obama wissen will: "Darf man die republikanischen Kritiker ernst nehmen?" Der nächste Stichwortgeber ist ein elfjähriges Mädchen, das sich über die "gemeinen Protestplakate" beklagt und fragt: "Warum wollen die Menschen ein neues Gesundheitssystem?" Die Mutter des Kindes ist, wie später Berichterstatter ermitteln, eine aktive Parteifreundin, die schon Michelle Obama und die Präsidententöchter getroffen hat.

So bleiben wirklich kritische Fragen eine Rarität, und Obama spult seine vorbereiteten Argumente herunter: Interessengruppen wie Versicherungen und die Pharmaindustrie seien es, die seine Pläne zu torpedieren versuchten, mit denen er den offiziell 46 Millionen Unversicherten im Land eine Police und den bereits Versicherten bessere Konditionen verschaffen möchte. Auf Bedenken und Fragen geht der Präsident nicht ein. Und ein heilendes Rezept für seine kränkelnde Reform bleibt der Chefarzt der Nation auch bei diesem Auftritt schuldig.

Meinung

Warum die Eile?

Der "Wunderheiler" in der Defensive: US-Präsident Barack Obama, in den so viele Bürger ihre Hoffnungen für dringend notwendige Reformen im Land setzen, tut sich ausgerechnet bei seinem Herzensanliegen - der Neugestaltung des Gesundheitssystems - schwer. Kritiker beklagen die Absicht, den Einfluss des Staates in diesem Bereich weit auszudehnen, und warnen vor "europäischen Verhältnissen" und einer dominierenden staatlichen Pflichtversicherung. Die Fehler Obamas sind unübersehbar: Er versprach den Bürgern mehr Transparenz und Mitspracherechte, wollte aber das Reformvorhaben zunächst im parlamentarischen Überschalltempo von nur drei Wochen durchpeitschen. Die Öffentlichkeit ist deshalb skeptisch geworden und fragt: Warum diese Eile? Ein Teil der Parlamentarier räumt ein, die Gesetzentwürfe noch nicht einmal vollständig gelesen zu haben. Und 68 Prozent der Bürger sind mit ihrer bestehenden Krankenversicherung zufrieden, so dass dies die Argumentation Obamas weniger nachvollziehbar macht, eine Überarbeitung erlaube keinen Aufschub. Zudem haben die Demokraten im Kongress bisher nicht klar gemacht, wie sie die Reform bezahlen wollen. Das leistet Gerüchten Vorschub, es könnten Steuererhöhungen für die Mittelklasse folgen. Die spannende Frage ist nun: Schafft Obama mit Klartext, Ehrlichkeit und dem Versprechen einer ausgeruhten Debatte die Stimmungs-Wende - oder wird das Thema zu dem, was sich die Konservativen: sein persönliches Waterloo? nachrichten.red@volksfreund.de

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