"Staatliche Insolvenz ein zahnloser Tiger"

Angesichts der Griechenland-Krise hat die Bundesregierung eine "geordnete Insolvenz" von EU-Staaten angeregt. Der Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn, hält die Idee für einen zahnlosen Tiger.

Berlin. (vet) Vom Vorschlag einer staatlichen Insolvenz hält Konjunkturforscher Gustav Horn nicht viel, wie er im Interview mit unserer Zeitung deutlich macht. Mit Horn sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter:

Herr Horn, was würde eine Insolvenz ganzer Staaten bedeuten?

Horn: Das würde bedeuten, dass ein Staat für seine Schulden nicht einmal die Zinsen mehr zahlen kann. So käme es unausweichlich zu einer Umschuldung. Die Gläubiger müssten dann auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Das Geld wäre futsch.

Aber die meisten Fachleute raten gerade von Umschuldungen dringend ab, weil die Finanzmärkte sonst noch stärker in Turbulenzen geraten könnten.

Horn: Das ist richtig. Die Situation vieler Banken ist weiter prekär, weil sie noch genug damit zu tun haben, jene Abschreibungen zu verdauen, die als unmittelbare Folge der allgemeinen Finanzkrise angefallen sind. Käme nun noch eine staatliche Insolvenz hinzu, dann würde sich der Abschreibungsbedarf erhöhen, was die Probleme noch verschärfen würde.

Schäubles Idee ist aber auf staatliche Finanzprobleme in der Zukunft gemünzt.

Horn: Ob jetzt oder in Zukunft: Es gibt immer einen Tag nach der Insolvenz, und der ist nicht sonderlich erfreulich. An diesem Tag danach wäre ein in Not geratenes Land zwar bestimmte Zahlungsverpflichtungen los. Aber es gibt natürlich kein neues Geld auf dem Kapitalmarkt, weil keiner diesem Land etwas leihen wird. Es müsste also ab sofort mit den Mitteln auskommen, die es über Steuereinnahmen erwirtschaftet. Und das bedeutet tiefe Einschnitte in den Staatshaushalt, die mit einer längeren Rezession verbunden sind.

Also sollte man die Finger davon lassen?

Horn: Gerade in einem gemeinsamen Währungsraum ist eine Insolvenz problematisch, weil akute Ansteckungsgefahr besteht. Wenn es ganz klare Verfehlungen nur eines einzelnen Landes gäbe, dann ließe sich das Problem mit einer geordneten Insolvenz eindämmen. Aber bei einer globalen Krise, mit der sich auch der Euro-Raum infiziert hat, darf man ein Land nicht pleitegehen lassen. Eine Insolvenz ist hier ein zahnloser Tiger, weil auch andere Staaten in den Abwärtsstrudel gerissen werden.

Welche anderen Regulierungsmechanismen sind denn aus Ihrer Sicht für den Kapitalmarkt notwendig?

Horn: Ich würde als Erstes den Einfluss der Rating-Agenturen begrenzen, weil sie mit ihren Herabstufungen die Griechenland-Krise erst richtig angeheizt haben.

Das hat die Europäische Zentralbank (EZB) bereits getan, indem sie griechische Anleihen als Sicherheit für frische Euro akzeptiert, obwohl es sich laut Rating-Agenturen um Schrottpapiere handelt. Gefährdet das nicht die Euro-Stabilität?

Horn: Nein. Das war ein sehr wichtiger und richtiger Schritt der EZB. Es darf doch nicht sein, dass sich die Europäische Zentralbank auf unglaubwürdige Ratings verlässt. Durch die damit verbundenen Spekulationen gerät der Euro ja viel stärker unter Druck. Auf diese Weise hat sich auch die Pleitegefahr für Griechenland beschleunigt

Werden die vereinbarten Hilfsmaßnahmen für Athen ausreichen?

Horn: Die jetzt zugesagten Milliardenkredite dürften aus meiner Sicht ausreichen, denn sie haben auch einen hohen Symbolgehalt: Die EU-Länder stehen füreinander ein. Das vermiest den Spekulanten das Geschäft. Und damit verbilligt sich letztlich auch die Sanierung der griechischen Staatsfinanzen.

extra Beispiel Argentinien: Eine Staatsinsolvenz (auch Staatsbankrott genannt) tritt ein, wenn die Regierung eines Staates förmlich erklärt, fällige Forderungen gar nicht mehr oder nur teilweise zu erfüllen, oder die Zahlungen einstellt. Letzter Fall war 2001/2002 Argentinien. Die große Wirtschaftskrise in dem lateinamerikanischen Land zwischen 1998 und 2002 führte zum Kollaps des Finanzsystems. Präsident Fernando de la Rúa trat trat zurück, es folgte eine Periode politischer Instabilität. Während der Krise sank die Wirtschaftsleistung um 21 Prozent. Die sozialen Folgen waren verheerend: 2002 stieg die Armutsrate auf 57 Prozent, die Arbeitslosenrate auf 23 Prozent. Seit 2003 befindet sich Argentiniens Wirtschaft stetig auf Wachstumskurs.

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