Stachel im Fleisch

Osama bin Laden bleibt ein Stachel tief im Fleisch der Amerikaner. Ob die nun aufgetauchte Tonband-Botschaft authentisch ist oder nicht - sie unterstreicht zum einen schmerzhaft neue Terrorgefahren, aber erinnert gleichzeitig auch an die unerledigten Hausaufgaben der Regierung George W. Bushs. Zu einem Zeitpunkt, wo ein Krieg gegen den Irak nur noch eine Sache von Tagen zu sein scheint, gewinnen durchaus berechtigte Fragen wieder an Bedeutung: Haben die USA tatsächlich mit jener Intensität, mit der jetzt die Vorbereitung für eine zweite "Operation Wüstensturm" getroffen wird, die Jagd nach dem Kopf der El Kaida betrieben? Oder wendet man sich nun auch deshalb einem neuen Gegner zu, um von Fehlschlägen abzulenken? Und: Wer ist in der Realität und nahen Zukunft die größere Bedrohung? Ein derzeit so gut wie nie zuvor überwachter Saddam Hussein oder ein flüchtiger Massenmord-Prediger, dessen jüngste Botschaften - wenn sie denn von ihm kommen - den Widerstand in radikalen islamischen Kreisen gegen den so verhassten "US-Imperialismus" und die Kampfbereitschaft der El Kaida noch verstärken dürften? Befriedigende und ehrliche Antworten auf diese auch in der amerikanischen Öffentlichkeit gestellten Fragen hat das Weiße Haus bisher nicht geliefert. Natürlich ließe sich ein Militärschlag gegen den Irak bereits heute formalistisch - auf der Grundlage der Resolution 1441 und der darin geforderten vollen Kooperation Bagdads sowie der anderen nicht eingehaltenen Resolutionen - begründen, doch damit würde gerade einmal das Mindestmaß an dem erfüllt werden, was auch die US-Bürger von ihrer Regierung erwarten. Eher peinlich deshalb auch die fortgesetzten Versuche der US-Regierung, eine enge Verbindung zwischen dem Irak und El Kaida zu zeichnen - Versuche, die einer sorgfältigen Prüfung bisher nicht standhalten. So stellt man eine Militäraktion - mit oder ohne Plazet der Weltorganisation - nicht auf argumentativ stabilere Beine, sondern macht sie eher noch angreifbarer.

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