Starr, stur und vernagelt

BERLIN. Gegner und Befürworter der Rechtschreibreform stehen sich weiter ziemlich unversöhnlich gegenüber. Im Streit um die richtige Schreibung hat die renommierte Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung nun einen alten Kompromissvorschlag noch einmal vorgestellt.

"Starr", "stur" und "vernagelt" waren Begriffe, die Klaus Reichert, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, gestern gebrauchte. Aber auf wen treffen diese eigentlich zu? Auf diejenigen, die die neuen Rechtschreibregeln unbedingt beibehalten wollen, weil sie glauben, dass sie sinnvoll sind und sich das Rad nicht mehr zurückdrehen lässt? Oder auf jene, die die Rückkehr zur alten Rechtschreibung fordern, weil sie die neue für inhaltlich verfehlt halten, an vorderster Front inzwischen "Springer" und "Spiegel"? Starr, stur und vernagelt - wahrscheinlich gilt das für beide Seiten, auch wenn die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung dies gestern in Berlin anders sah: Die Erfinder und Befürworter der neuen Schreibe seien die Schuldigen für das jetzige Durcheinander, weil sie sich "an der Sprache vergriffen haben", hieß es seitens der Experten. Aber: Das Kind sei nun mal in den Brunnen gefallen, jetzt müsse die "Spaltung" des Landes beendet und der "Rechtschreibfrieden" (Reichert) wieder hergestellt werden - per Kompromiss.Experten wittern Morgenluft

Bereits im vergangenen Jahr hatten die Experten den gestern erneut vorgelegten 140 Seiten starken Vorschlag präsentiert, der eine Übernahme von Teilen des neuen Regelwerks, aber auch eine teilweise Rückkehr zur alten Rechtschreibung vorsieht. Erhört wurden die Akademiemitglieder schon damals nicht, die Reaktion auf den "Vermittlungsvorschlag" seien vielmehr eine "rüde Abfertigung" von den Kultusministern und der zuständigen zwischenstaatlichen Kommission gewesen, so Friedrich Dieckmann, Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Künste. Seit nun große Teile der Presse Mitte August entschieden haben, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, wittert die Akademie wieder Morgenluft: Der "Leidensdruck ist noch höher" geworden, begründete der Potsdamer Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg die Neuvorlage der Kompromissidee. Der Akademievorschlag beinhalte sogar substantielle Zugeständnisse - so soll erhalten bleiben, was "hinnehmbar" sei, wie die "Eszett-Regelung" oder die neue Schreibweise einzelner Worte wie "rau" (vorher: rauh). Nicht akzeptabel seien hingegen Neuregelungen, die nicht der Struktur des Deutschen entsprächen oder die zu einer "Entgrammatikalisierung des Geschriebenen" führten, betonte Eisenberg. So dürfe etwa "kennen lernen" nicht ebenso getrennt geschrieben werden wie "laufen lernen". "Wer kennenlernt, der lernt ja nicht kennen", so der Sprachexperte. Außerdem höre der Spaß auf bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Groß- und Kleinschreibung, bei der Silbentrennung und der Schreibweise von Fremdwörtern wie "Bravur" oder "Blackpower" - was nun mal "frei erfunden" sei.Vorschlag aus der Not heraus

Der Vorschlag der Akademie ist jedoch einer aus der Not heraus. Denn eigentlich halten die Wissenschaftler die alte Orthographie für besser als die neue. Das eigene Konzept ist demnach auch nur die "zweitbeste Lösung", räumte Eisenberg ein, da eine totale Umkehr "politisch unrealistisch und sachlich äußerst schwer zu verwirklichen ist". Innerhalb der Akademie ist diese Haltung jedoch umstritten - so forderten gestern 37 prominente Mitglieder in einer Erklärung "eine völlige Rücknahme" der Rechtschreibreform und nicht nur einen Kompromiss. Darunter so namhafte Autoren wie Günter Grass, Elfriede Jelinek, Vicco von Bülow und Siegfried Lenz. Der Streit um die Reform reißt damit also auch unter Schriftstellern und Sprachwissenschaftlern tiefe Gräben auf. Die Akademie hofft deshalb nun auf den "Rat für deutsche Rechtschreibung", der im Herbst seine Arbeit aufnehmen und künftig die Entwicklung der Sprache beobachten soll. Nach Ansicht der Experten "soll die Linie der Akademie dabei eine Rolle spielen". Der Rat dürfe aber nur eine "kleine Zahl von kompetenten Mitgliedern" haben und müsse Entscheidungsbefugnisse besitzen.

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