Staunen über die ruhigen Deutschen

Berlin · Auslandskorrespondenten in Berlin wundern sich über den Wahlkampfstil - und rechnen mit einem Sieg Angela Merkels.

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Foto: (g_pol3 )
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Berlin Wie berichten europäische Auslandskorrespondenten aus Berlin über den deutschen Wahlkampf? Mit welchem Ausgang rechnen sie persönlich? Unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff fragte fünf seiner Kollegen.

Nataliia Fiebrig schaut während des Gesprächs oft auf ihr Handy. Die Deutschland-Korrespondentin des ukrainischen Fernsehsenders 1 plus 1 wartet auf einen Rückruf von Angela Merkels hochbetagter Russisch-Lehrerin. Für ein Porträt. Mit Merkels Friseur Udo Walz hat sie schon gesprochen. Die Kanzlerin ist ungemein populär in Fiebrigs Heimat. Nicht nur, weil sie Putin Paroli bietet. Sondern auch als Person. Also lässt ihr Sender es menscheln. Die politischen Themen des deutschen Wahlkampfes stoßen hingegen in Kiew kaum auf Interesse. Man warte ab, welche Koalition regieren werde. Dass Merkel Kanzlerin bleibt, ist für Fiebrig ausgemacht. "Nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt dachte ich: Das war's für Merkel", sagt sie. "Aber hier in Deutschland läuft Politik anders."

Stefan Wagstyl von der britischen Financal Times erzählt, dass in seiner Heimat vor allem interessiert, wie die deutschen Parteien mit dem Brexit umgehen. Dass Merkel gewinnt, ist für ihn klar. Die Wahl Trumps in den USA habe ihr zusätzlich geholfen. "Viele Deutsche setzen in so einer unsicheren Welt auf Merkel, und sie versteht es, dieses Gefühl zu bedienen." Erstaunt ist Wagstyl darüber, wie wenig konkret die Parteien bei ihren Versprechungen sind und wie vornehm sie miteinander umgehen. Da gehe es in England doch ganz anders zur Sache, wo auch über die AfD viel berichtet werde. Er persönlich finde ihr Erscheinen zwar nur eine Normalisierung der deutschen Politik - schließlich gebe es die Rechtspopulisten fast überall in Europa. In England aber sagten viele, dass nun die Nazis in Deutschland zurück seien.

Thibaut Madelin schreibt für die französische Wirtschaftszeitung Les Echos. Er findet die Umfragezahlen "zu stabil, um wahr zu sein". Noch vor zwei Jahren sei Merkel wegen der Flüchtlingskrise unten durch gewesen, und vor einem halben Jahr habe der Schulz-Hype gezeigt, dass die Leute neugierig auf etwas Neues seien. Madelin glaubt deshalb nicht, dass die Wahl so deutlich zugunsten der Kanzlerin ausgeht, wie es derzeit in den Umfragen aussieht. Aufgefallen ist auch ihm, dass es im Wahlkampf kaum polarisierende Themen gibt. Zum Aufstieg der AfD sagt Madelin: "Ich glaube, da habt ihr hier mehr Angst als der Rest Europas. In anderen Ländern sind die Rechtspopulisten schon Normalität."

Die Griechen interessieren sich für die deutschen Wahlen sogar fast noch mehr als für die heimische Politik, sagt Georgios Pappas, Korrespondent des griechisches Fernsehsender ERT und der Zeitung Ta Nea. "Alle denken, dass über ihr Leben und ihr Schicksal sowieso letztlich in Berlin entschieden wird." Als Martin Schulz kurze Zeit gleichauf mit Angela Merkel lag, sei man regelrecht elektrisiert gewesen. Man habe sich von dem Sozialdemokraten eine Lockerung des Spar- und Reformdrucks erhofft. Nun, da klar sei, dass Merkel gewinnen werde, konzentriere sich die Aufmerksamkeit auf die Frage, ob Wolfgang Schäuble wieder Finanzminister werde. Er sei in Griechenland nach wie vor sehr verhasst.

Ewald König arbeitet unter anderem für die Austria Presse-Agentur, Österreich. Er erwartet, dass die CDU mit Angela Merkel "eindeutig die Nummer eins" wird. Bei der SPD und Martin Schulz sieht er Fehler. Das Thema soziale Gerechtigkeit habe nicht gezogen, das CDU-Thema Sicherheit viel mehr. Erst in vier Jahren, wenn Merkel wahrscheinlich aufhöre, verändere sich die Lage für die Sozialdemokraten, prophezeit König. Aufgefallen ist ihm, dass das Flüchtlingsthema anders als in Österreich kaum eine Rolle spielt.
Werner Kolhoff

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