Steinbrück gibt sich als Anwalt der sozial Schwachen

Augsburg · Aufbruch von Augsburg? Auf dem SPD-Parteitag bläst der bisher glücklose Kanzlerkandidat Steinbrück zum Angriff auf Schwarz-Gelb. Die Partei feiert ihn und hofft auf die Trendwende bis zur Bundestagswahl im September.

Augsburg. Wer am Rande des Augsburger Parteitages der SPD die Genossen fragt, wie sie diese Bundestagswahl noch gewinnen wollen bei dem Rückstand, bekommt zwei Hinweise: Auf die Niedersachsen-Wahl im Januar, wo die Partei quasi in letzter Minute äußerst knapp die Regierung holte, und auf Dortmunds Sieg gegen Malaga in der Nachspielzeit. Die Partei gibt die Hoffnung nicht auf, das ist die Botschaft des Sonntags. Sie geht geschlossen in den Wahlkampf und zweifelt jetzt deutlich weniger an ihrem Spitzenkandidaten.
Umfragewerte bei 26 Prozent


Peer Steinbrück, der bisher eher unglücklich agierende Herausforderer Angela Merkels, schafft diese Stimmung schon mit einem seiner ersten Sätze: "Ich will Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden." Angesichts der letzten Umfrage, wonach die SPD aktuell bei 26, die CDU aber bei 41 Prozent liegt, ist das mehr als selbstbewusst. Die 600 Delegierten staunen einen Moment - und lassen sich dann mitreißen. Sie stehen auf, johlen und klatschen minutenlang. Die SPD im autosuggestiven Hoch. Am Ende der Ansprache, die trotz 80 Minuten Länge kaum Durchhänger hat, wiederholt sich das. Da geht Steinbrück offen auf die schlechte Umfragelage ein: "Ich weiß um diese Zahlen. Aber ich kenne auch die Wahlergebnisse der letzten Monate", ruft er aus. Und dann listet er die Erfolge in den Ländern und Großstädten nacheinander auf. Ein regelrechter Jubelsturm bricht los. Die SPD-Ministerpräsidenten scharen sich auf der Bühne um den Kanzlerkandidaten. Eine Phalanx des Erfolges.

Persönliche Schicksale


Steinbrücks Vorredner haben geholfen, diese Stimmung zu erzeugen. Sigmar Gabriel mit seinen scharfen Angriffen gegen Kanzlerin Angela Merkel, die er "Angela Mimikry" nennt. Ihr politisches Rezept heiße "tarnen und täuschen". Und Gastrednerin Claudia Roth, die als erste grüne Parteichefin überhaupt auf einem SPD-Parteitag spricht und den Saal richtig rockt: "Für die Grünen kann ich euch versichern: Wir haben richtig Lust auf einen heißen Wahlkampf", ruft sie aus und appelliert an die Genossen, nicht zu verzagen. "Wahlkampf ist zum kämpfen da, lieber zukünftiger Koalitionspartner." Roth hat ein rotes T-Shirt angezogen und trägt dazu eine grüne Kette
So fröhlich wie Roth werden im Verlauf der Steinbrück-Rede auch die 600 Delegierten. Denn der Kandidat und Ex-Finanzminister der Großen Koalition schafft es vielleicht zum ersten Mal seit seiner politischen Wiederauferstehung, das sozialdemokratische Herz zu rühren. Zweifel, ob er wirklich zum ziemlich links gewirkten Wahlprogramm passt, zerstreut er gründlich. "Er hat unsere Inhalte mit Verve und glaubwürdig vertreten", sagt hinterher selbst ein Oberlinker wie Berlins Landeschef Jan Stöß. Steinbrück gelingt das zum einem mit dem Satz, dass auch "wir Sozialdemokraten uns dem neoliberalen Zeitgeist nicht immer genug entgegengestemmt haben." Jeder versteht das als Selbstkritik, als Eingeständnis vergangener Irrtümer. Vor allem aber gibt sich der Spitzenkandidat als einer, der das Leben der kleinen Leute kennt und mitfühlen kann. Die Inszenierung dazu ist perfekt.
Kaum Kontroversen


Jede SPD-Wahlkampfforderung, ob nach einer Mietpreisbegrenzung oder Mindestlohn, leitet er mit der Schilderung von konkreten Schicksalen ein. Und einige dieser einfachen Menschen, die er bei seinen Länder-Reisen in den vergangenen Wochen getroffen hat, hat er mitgebracht in die Messehalle. Sie sitzen in der ersten Reihe. Fünf alte Damen eines Nürnberger Wohnprojekts, zwei Existenzgründerinnen, ein 16-Jähriger mit Migrationshintergrund aus Stuttgart. Er begrüßt sie alle namentlich, die meisten per Du. Die Kamera blendet die Gäste groß auf die Videoleinwand ein, und dann erzählt Steinbrück ihre jeweilige Geschichte. So soll auch Steinbrücks persönlicher Wahlkampf gestrickt sein, mit Hausbesuchen und vielen direkten Bürgergesprächen. Kaum Großkundgebungen.
Der Beifall am Schluss ist riesig. Die vorher geäußerte Erwartung einer Delegierten des linken Flügels, wahrscheinlich werde es für das Wahlprogramm mehr Applaus geben als für den Kandidaten, erweist sich als falsch. Allerdings, auch bei den Inhalten zeigt sich die sonst so diskussionsfreudige SPD ziemlich harmonisch.
Das Wahlprogramm wird ohne größere kontroverse Debatten fast einstimmig verabschiedet. "Die Partei ist bei sich angekommen", sagt der Berliner Stöß. "Sie hadert nicht mehr mit sich." Jetzt, meinen die meisten bei der Abreise, müsse man die Hochstimmung von Augsburg über den Sommer halten, um damit in die letzte Wahlkampfphase einzuschwenken.
"Wir haben noch fünf Monate Zeit", sagt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

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