Sterbegeld soll Organspender locken

MAINZ. Soll es bei Organspende mehr Sterbegeld oder einen höheren Steuerfreibetrag geben? Mit finanziellen Anreizen will der Essener Transplantationschirurg Professor Christoph Broelsch der dramatisch niedrigen Spendenbereitschaft begegnen. Der Mainzer Justizminister Herbert Mertin lehnt dagegen eine "Steuerung über den Geldbeutel" ab.

Die Situation ist nicht neu: Verzweifelt gesucht werden Herz, Lunge oder Leber. Und weil es mit der Bereitschaft zur Organspende in Deutschland nicht weit her ist, kann nur jedem zweiten Patienten geholfen werden. Menschen sterben wegen der Unterversorgung, sagt Professor Broelsch. Er diagnostiziert bei einer Podiumsdiskussion der rheinland-pfälzischen Bioethik-Kommission zum Thema "Brauchen wir legalen Organhandel?" ein totales Versagen des deutschen Systems. Spenden scheitern nach seinen Angaben wegen Geldmangels in Kliniken und weil das Problem um den "Hirntod" noch immer nicht als gelöst gilt.Mit Ängsten besetztes Tabu-Thema

Weiterhin herrscht bei vielen Skepsis, wie zuverlässig eine solche Diagnose ist. Vor allem aber wird die Entscheidung für eine Organentnahme meist von Angehörigen in psychischen Stress-Situation "am falschen Ort und zur falschen Zeit" gefordert, so der Direktor an der Uniklinik Essen. Folge ist eine hohe Ablehnungsrate. Letztlich geht es auch um ein mit vielen Ängsten besetztes Tabu-Thema. Broelsch will die Entscheidung pro Organspende honorieren, nicht das Organ bezahlen, wie er betont. Dafür in die Tasche zu greifen, hält er auch ökonomisch für sinnvoll, weil der Spender hilft, teure Behandlungen bei anderen Patienten einzusparen. Vorstellbar ist für ihn ein Steuerfreibetrag oder ein höheres Sterbegeld. Während diese beide Forderungen sehr umstritten sind, kann seinem Plädoyer für eine Risikoabsicherung von Lebendspendern auch der Mainzer Kardinal Karl Lehmann einiges abgewinnen. Für die Kirchen ist die Organspende ein Zeichen der Nächstenliebe. Allerdings dürfe in diesem sensiblen Bereich kein Druck auf Verweigerer ausgeübt werden. Trotz Aufklärungskampagnen und klarer Regeln im Transplantationsgesetz von 1997 rangiert die Bundesrepublik bei der Organspende am unteren Ende internationaler Vergleiche. In Ländern wie Spanien oder Österreich liegt sie pro eine Million Einwohner doppelt so hoch. Bundesweit gilt die Zustimmungslösung, bei der eine entsprechende Willenserklärung der Betroffenen oder die Einwilligung von Angehörigen notwendig ist. In Rheinland-Pfalz wurde 1995 die geplante Widerspruchslösung nach heftigem Protest wieder fallen gelassen. Sie unterstellt die Zustimmung, wenn keine ausdrückliche Ablehnung dokumentiert ist. Nach Auffassung von Transplantationsmediziner Professor Gerd Otto (Uniklinik Mainz) leidet jedoch die Spendenbereitschaft weniger an formalen Kriterien als an beträchtlichen psychologischen Barrieren zwischen grundsätzlich positiver Einstellung und konkretem Handeln. Auch mangelnde Information und unterschwellige Vorbehalte des medizinischen Personals macht er dafür verantwortlich, dass viele mögliche Transplantationsorgane nicht zur Vermittlung gemeldet werden. "Wir brauchen Transparenz, Kontrolle und Akzeptanz bei der Organspende", fordert Otto und verlangt nicht zuletzt mehr Motivation bei den Medizinern. Die Bereitschaft zur Organspende "über den Geldbeutel zu steuern", lehnt der Mainzer Justizminister Herbert Mertin ab. Er fürchtet, dass sich die Ängste vor einem Organhandel noch verstärken könnten. Doch ob die von ihm favorisierte Widerspruchslösung in Deutschland durchsetzbar ist, wird von Experten bezweifelt. Selbst, wenn sie nach Meinung von Verfassungsrechtlern vom Grundgesetz abgedeckt ist. In einem sind sich alle Experten trotz der Notsituation vieler Patienten einig: Einen kommerziellen Handel mit Organen darf es auch weiterhin nicht geben.

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