Studentin ist "langsam vor sich hin gestorben"

Mit der Verurteilung eines 30-Jährigen zu sieben Jahren Haft wegen Totschlags durch Unterlassen ist gestern ein langer und schwieriger Prozess in Trier zu Ende gegangen. Das Urteil beruht nur auf Indizien.

Trier. Domenik V. schweigt. Selbst als die Vorsitzende Richterin Petra Schmitz ihm nach den Plädoyers des Staatsanwalts und seiner beiden Verteidiger das sogenannte letzte Wort vor der Verkündung des Urteils gibt, sagt der 30-Jährige nichts. So wie während des gesamten seit Juli vergangenen Jahres laufenden Prozesses. Äußerlich regungslos hat er etwa die Aussagen des Vaters und der Schwester seiner Ex-Freundin verfolgt, die ihm vorgeworfen haben, Fiona H. unterdrückt und hörig gemacht zu haben.

Doch es sind nicht diese Regungslosigkeit und das Schweigen, die die Richterin als "emotionale Kälte" bezeichnet. Obwohl, wie sie sagt, man schon hätte erwarten können, dass ihn der Tod seiner Ex-Freundin mehr bewege. Vielmehr ist es die "besondere Kühle", mit der er, während die 20-Jährige nach einer Überdosis mit dem Lösungsmittel GBL mit dem Tod rang, im Internet nicht nur nach entsprechenden Symptomen gesucht, sondern auch noch Bankgeschäfte getätigt und Nachrichten geschaut habe. Das sei kein Augenblicksversagen, sondern bedingter Vorsatz gewesen. Zumal er gewusst habe, dass sich die junge Frau habe umbringen wollen. V. ist zuvor eine Woche lang bei Fiona H. in deren Studentenzimmer in Trier-Nord zu Besuch gewesen, hat ihr offenbar Hoffnungen gemacht, die von ihm beendete Beziehung, könnte wieder aufflammen. An dem Samstagabend im Juni 2009 scheint diese Hoffnung der jungen Frau, die in dem acht Jahre älteren Mann, den sie mit 17 Jahren auf einem Rockfestival kennengelernt hatte, die Liebe ihres Lebens sah, endgültig zu zerplatzen. Es kam zum Streit zwischen den beiden.

Angeblich, so hat V. vor dem Prozess der Polizei gesagt, habe sich die Studentin daraufhin aus dem Fenster im zweiten Stock des Mehrfamilienhauses stürzen wollen. Davon habe er sie abgehalten. Nicht aber offenbar von dem Schluck aus der Flasche mit dem Lösungsmittel. Fiona H. wäre laut Staatsanwalt Eric Samel "ohne weiteres" zu retten gewesen, wenn spätestens eine halbe Stunde, nachdem sie das GBL geschluckt hatte, ein Notarzt gerufen worden wäre. Stattdessen habe V. tatenlos zugesehen, wie die Ex-Freundin "langsam vor sich hin starb". Er fordert acht Jahre Haft. Jost Ferlings, einer der Anwälte von V., erkennt allenfalls unterlassene Hilfeleistung, keinen Totschlag. Die junge Frau habe sich umbringen wollen und sich schließlich "zu Tode gebracht", argumentiert der Paderborner Strafverteidiger.

Bei dem juristisch schwierigen Indizienprozess ging es nicht darum, ob V. seine Ex-Freundin umgebracht hat, indem er ihr etwa das GBL gewaltsam einflößte. Obwohl der Vater des Opfers davon überzeugt ist. Das Gericht hat nachweisen müssen, ob V. den Tod der 20-Jährigen hätte verhindern können. Ein Internet-Gutachter hat am vorletzten Prozesstag vor drei Wochen die entscheidenden Hinweise dafür gegeben. Dem Experten ist es gelungen, auf dem Computer der 20-jährigen Lehramtsstudentin nach mehr als einem Jahr nachzuweisen, auf welchen Internetseiten in der Todesnacht im Juni 2009 gesurft worden ist. Danach hat V. die einzelnen Phasen des Todeskampfes als Suchbegriffe eingegeben.

Der 30-Jährige war erst im Februar vorigen Jahres, ein halbes Jahr nach dem Tod der Studentin, verhaftet worden. Zunächst ging die Staatsanwaltschaft von einem Selbstmord oder einer Überdosis Drogen aus. Erst im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus, dass V. nachts um zwei Uhr das Zimmer der Studentin fluchtartig verlassen hat und zu ihrer Mitbewohnerin gesagt haben soll: "Meine Schuld". Vermutlich war Fiona H. zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Ihr Vater hält das Urteil von sieben Jahren für angemessen. Aber "Gerechtigkeit kann es nicht wirklich geben, denn er lebt und sie ist tot." Extra Gamma-Butyrolacton (GBL) ist ein Lösungsmittel, etwa für Farben. Da ein paar Tropfen aufputschend wirken, ähnlich wie Ecstasy, wird es als Partydroge auch als Liquid (flüssiges) Ecstasy bezeichnet. Höhere Dosen führen zu einem narkoseähnlichen Schlaf. GBL ist auch unter dem Namen K.O.-Tropfen bekannt. Bereits vier bis fünf Milliliter können tödlich sein. (wie)

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