Stunde der Wahrheit

Wer auch immer heute Morgen als Gewinner feststeht: Die Präsidentenwahl in den USA wird maßgeblich auch beeinflussen, welchen politischen Herausforderungen sich Europa und die Bundesregierung in Berlin demnächst gegenüber sehen werden.

Ein ordentlicher, friedlicher, demokratischer Machtwechsel ohne juristisches Tauziehen dürfte immer noch im Sinne der meisten Europäer sein. Doch wenn dieser klare Mehrheitswunsch in dieser Nacht erfüllt worden ist - was dann? Der Wahlkampf in den USA und die außenpolitischen Thesen der Kandidaten haben klar gemacht, dass sich die transatlantische Stimmung nicht automatisch wesentlich verbessern wird. Bush hatte sich damit abgefunden, dass Europa keine große Lust hat, Truppen und Helfer ins Feuer des Reparaturbetriebs Irak zu schicken. Sollte Kerry heute Nacht gesiegt haben, wird ihn eine seiner ersten Reisen nach der Amtseinführung vermutlich ausgerechnet zur Karnevalszeit über den Atlantik führen. Nach ersten Umarmungen dürfte dann jedoch schnell Schluss mit lustig sein: Kerry steht bei seinen Wählern mit dem Versprechen im Wort, den bisherigen Irak-Verweigerern Beiträge abzuhandeln, die das US-Engagement spürbar entlasten. Mit Alibi-Aktionismus wie dem Entsenden von weiteren hundert Soldaten nach Afghanistan dürfte es dabei nicht getan sein. Europa hat sich mit seiner unverhohlenen Unterstützung für den Demokraten selbst unter Druck gesetzt. Nur mit schönen Worten werden sich die EU-Kernstaaten deshalb die künftig so erwünschte Mitsprache und engere Kooperation mit Washington nicht erkaufen können. Hier droht, sollte Euro-Liebling Kerry als Sieger feststehen, schon bald die Stunde der Wahrheit. nachrichten.red@volksfreund.de

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