Sturm im Wasserglas

Wer die dritte Wahl ist, muss mit Symbolik arbeiten, um auf sich aufmerksam zu machen: Seit dem EM-Desaster, dem Völler-Rücktritt, der Lachnummer um die Präsidentschaft des Deutschen Fußball-Bunds sowie der Absagen-Welle bei der Suche nach Völlers Nachfolger steht die Fußball-Nationalmannschaft im Blickpunkt der Öffentlichkeit wie selten.

Jürgen Klinsmann, der frischen Wind bringen soll, dem allerdings auch das Makel der Notlösung anhaftet, muss sich daher in der Öffentlichkeit Reputation verschaffen, muss ein bisschen mit Zuckerbrot und Peitsche hantieren. Dass aber nun die "Beurlaubung" von Oliver Kahn als Kapitän einen solchen Staub aufwirbelt, ist lachhaft. Was wird alles mit dieser für einen neuen Chef völlig normalen Entscheidung in Verbindung gebracht: Kahns Pannenserie im Vorjahr, seine familiären Probleme, und, und, und… Alles nur ein Sturm im Wasserglas, wenn man die zweite Entscheidung des neuen Bundestrainers betrachtet: Kahn trägt zwar nicht mehr die Binde ins Stadion und darf in Testspielen die Wimpel tauschen, dafür ist er aber bis zur WM im eigenen Land als Nummer eins gesetzt. Für Kahn viel wichtiger, denn die ständige Diskussion über die Rotation zwischen den Pfosten (gepaart mit den Sticheleien seines Konkurrenten Jens Lehmann) nervt ihn und ist für die Leistung des "Titanen" nicht unbedingt förderlich. Und dass Kahn qua seiner Erfahrung, seines Charakters und seiner Einstellung in der Mannschaft als Führungsspieler - genau wie sein Kapitäns-Nachfolger Michael Ballack - akzeptiert ist und den Mund aufmachen wird, ist auch klar - egal, ob er das "Amt" des Spielführers inne hat oder nicht. Es gibt genug zu tun im deutschen Fußball, als das eine ganze Nation darüber diskutieren müsste, ob Kahn schleichend aufs Abstellgleis geschoben wird, nur weil er nicht mehr Kapitän ist. Hätten wir mehr Typen wie Kahn, die auch einmal provozieren können und gleichzeitig Taten sprechen lassen, wäre Völler heute noch Trainer und alle Diskussionen, die seit Portugal losgetreten wurden, wären obsolet. b.pazen@volksfreund.de

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