Symbiotisches Verhältnis

Wer den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl bei einem Auftritt gemeinsam mit dem luxemburgischen Premier Jean-Claude Juncker erlebt, wird fast schon zwangsläufig an eine Vater-Sohn-Beziehung denken.

"Junior" soll der christdemokratische Oggersheimer den christsozialen Juncker früher sogar einmal genannt haben. Bei der Karlspreis-Verleihung in Aachen sah man den sichtlich gealterten Altkanzler im Hintergrund zufrieden nicken, während der Preisträger sprach. Ein symbiotisches Verhältnis zweier geistesverwandter Politiker, die vor allem eines verbindet - der unverdrossene Glaube an Europa. Während sich in den meisten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht erst seit dem "Nein" von Franzosen und Niederländern Krisenstimmung breit macht, werden Kohl und Juncker nicht müde, das bis dato Erreichte zu feiern und Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. Die Karlspreis-Rede des Premiers aus dem zweitkleinsten EU-Land war eine große, eine rhetorische Glanzleistung; gespickt mit Anekdoten, ironisch, aber auch selbstkritisch, ausgewogen pendelnd zwischen nüchterner Rückschau und kraftvollen Visionen. Was den luxemburgischen Politiker von vielen seiner Zunft unterscheidet: Er redet Klartext, wo sich andere hinter wohl klingenden Phrasen verstecken. Und Juncker bleibt standhaft, wo andere wanken. Auf dem Höhepunkt der CDU-Spendenaffäre stand der luxemburgische Premier fest zu Helmut Kohl, während selbst enge Parteimitglieder den Alt-Kanzler fallen ließen wie eine heiße Kartoffel. Legendär im Gegenzug der Ausspruch Kohls während einer Sitzung der EU-Regierungschefs: "Ich stimme nicht gegen Luxemburg." Das hat der Junge dem Alten nie vergessen. r.seydewitz@volksfreund.de

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