Teufelskreis aus Armut und verpassten Chancen

MAINZ. Mehr als eine Million Kinder leben deutschlandweit von Sozialhilfe. Durch die geplante Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wird sich die Zahl um bis 60 Prozent erhöhen, schätzt der Kinderschutzbund. Er fordert einen verstärkten Kampf gegen Kinderarmut.

Rund 38 400 Kinder erhielten in Rheinland-Pfalz im Jahr 2002 Sozialhilfe. Damit sind fast fünf Prozent der insgesamt knapp 800 000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren von "Hilfe zum Lebensunterhalt" abhängig. Doch die ohnehin zunehmende Kinderarmut wird sprunghaft ansteigen, so befürchtet die Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes, Jeanette Rott-Otte, wenn die Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe neue Fakten schafft. Ein Gutachten des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes sagt für diesen Fall den Anstieg der Sozialhilfeempfänger um 60 Prozent auf 4,5 Millionen in Deutschland voraus.Für Kinderschutzbund ein Alarmsignal

Zwar liegt Rheinland-Pfalz mit einer Sozialhilfequote von 2,5 Prozent am unteren Ende im Ländervergleich, deutlich unter dem Bundesschnitt von 3,2 Prozent. Doch der erwartete prozentuale Anstieg der Zahl von Hilfeempfängern dürfte im Land nur wenig geringer sein. Ein Alarmsignal für den Kinderschutzbund. Die Armut hat gravierende Folgen für die Kinder: Sie werden sozial ausgegrenzt, sind gesundheitlich schlechter versorgt und bleiben oft im Bildungssystem auf der Strecke. "Armut verbaut Lebenschancen. Schlechtere Schulabschlüsse führen zu schlechterer Berufsausbildung und erhöhen damit das Armutsrisiko. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden", fordert der Kinderschutzbund. Er verlangt vor allem von der Bundesregierung ein Programm zur Bekämpfung der Kinderarmut und die Erhöhung des Kindergeldes auf 300 Euro. Steuerliche Nachteile für Alleinerziehenden müssten aufgehoben werden, sagt Rott-Otte. Doch nicht nur finanzielle Sorgen bedrücken die Kinder. "Die Nummer gegen Kummer" des Kinder- und Jugendtelefons wurde im vergangenen Jahr 120 000 Mal angewählt, in zwei von drei Fällen von Mädchen. Neben Schweige-Anrufen, Auflegern und üblen Scherzanrufen kam es zu über 28 400 Beratungsgesprächen. Mehr als die Hälfte der Anrufer hat Probleme mit sich selbst. Vorrangig geht es dabei um Themen wie Partnerschaft, Liebe und Sexualität, aber auch um Ärger in der Familie, der Schule oder im Freundeskreis. Zudem wird Mobbing verstärkt zu einem Thema. Weit überdurchschnittlich wird in der Region Trier zum Hörer gegriffen. Nach Auffassung von Rott-Otte schlagen sich darin ein umfangreicher Einsatz von ehrenamtlichen Mitarbeitern und ausgeweitete Beratungszeiten nieder.Wachsender Missbrauch des Sorgentelefons

Hart zu setzt den Mitarbeitern ein wachsender Missbrauch des Sorgentelefons, das seit einigen Jahren kostenlos angewählt werden kann. Während es im Land mit elf Kinder- und Jugendtelefonen ein dichtes Netz gibt, ist das Elterntelefon bisher nur an vier Standorten vor Ort. Dennoch hat sich bei diesen Anlaufstellen die Zahl der Beratungsgespräche auf 5700 fast verdoppelt. Erziehungsprobleme, auffällige Entwicklungen bei Kindern oder Ärger mit Behörden stehen im Vordergrund. Nicht selten folgt einer telefonischer Beratung auch ein Elternkurs "Starke Eltern - starke Kinder", der vor allem gewaltfreie Erziehung vermitteln will. 540 Eltern und 751 Kinder konnten 2003 auf diesem Wege erreicht werden.

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