Tollhaus Deutschland

Was ist diese heftige Debatte um richtig oder falsch: ein neues Lust- oder Trauerspiel aus dem Sommertheater oder das ganz praktische Irrenhaus Deutschland im August 2004? Da brüten Sprachwissenschaftler aus mehreren Staaten mehr als ein Jahrzehnt über einer Rechtschreibreform.

Da fassen 16 Kultusminister 1998 den einstimmigen Beschluss, dass die Regeln am 1. August 2005 verbindlich werden und billigen dies noch einmal einstimmig am 3. Juni 2004. Und jetzt das. Ein paar Ministerpräsidenten wollen Schlagzeilen machen, fordern: Weg mit der Reform! Große Verlagshäuser, die seit Jahren die neuen Regeln angewandt haben, kündigen die Rolle rückwärts an. Und selbstverständlich fehlt auch die Forderung nach einer Volksabstimmung nicht. Unfassbar, was sich derzeit in diesem Lande abspielt. Es geht längst nicht mehr um Schifffahrt oder Schiffahrt, es geht darum, ob der Dampfer Deutschland endgültig absäuft unter dem Gelächter der ganzen Welt. Ist hier überhaupt noch jemand fähig, einmal beschlossene Reformen durch- und umzusetzen? Wie soll das insgesamt weitergehen im Tollhaus Deutschland? Entscheiden demnächst Springer, der "Spiegel" und die "Süddeutsche" über Hartz IV oder den Beitragssatz der Krankenkassen? Rennen bald überall im Land die Menschen zu hunderttausenden auf die Straße und skandieren: Wir sind das Volk, weil Regierung und Opposition gemeinsam zum Teil schmerzhafte, aber notwendige Reformen beschlossen, einige der Verantwortlichen kurz vor Toreschluss die Hosen voll haben und von dem gemeinsam geschnürten Paket nichts mehr wissen wollen, weil der Wind von vorne kommt? Bei der Auseinandersetzung um die Rechtschreibreform geht es um viel mehr als um Buchstaben, Schreibweisen und Kommaregeln. Es geht um Handlungsfähigkeit in diesem Land. Es geht um Seriosität und Verlässlichkeit. Und da sieht es rabenfinster aus. d.schwickerath@volksfreund.de

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