Träge Premiere - noch wahrt Schwarz-Rot Distanz

Berlin · Erstmals nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen haben die Abgeordneten von Union und SPD im Bundestag ihre neue Stärke demonstriert. Während die Bundestagsmehrheit sich gut gelaunt gibt, ist die kleine Opposition verärgert.

Berlin. Wenn neuerdings die Abgeordneten von Union und SPD zusammen die Hand heben, dann ist das im Bundestag schon ein überwältigender Anblick. Bei der Einsetzung des neuen Hauptausschusses (siehe Artikel unten), in dem jetzt für zwei Wochen die Parlamentsarbeit stattfinden wird, gelingt die Premiere. Erstmals nach der Unterschrift ihrer Parteichefs unter den Koalitionsvertrag stimmen Schwarz und Rot gemeinsam ab. Da wirken die wenigen Hände der Neinsager von Linke und Grünen fast verloren im weiten Rund des Plenarsaals - 504 zu 127!An Zweckehe gewöhnen


Abgeordnete der Union simsen: "Die Stimmung ist gut." Die von der SPD mailen: "11 Veranstaltungen im Rahmen des Mitgliedervotums in den nächsten Tagen." Darin liegt der eigentliche Grund, warum im Bundestag Trägheit herrscht. Die schwarz-roten Koalitionsverhandlungen waren zwar langwierig und schwierig, einige Abgeordnete, die daran beteiligt gewesen sind, haben immer noch kleine Augen. Aber das Unterfangen der Genossen mit ungewissem Ausgang lähmt auch die politische Arbeit der Volksvertreter. Hinzu kommt, dass sich viele erst noch an die beabsichtigte schwarz-rote Zweckehe gewöhnen müssen. Was bei den Abstimmungen funktioniert, klappt bei den dahin plätschernden Reden keineswegs - noch applaudieren Union und SPD sich nicht gegenseitig, noch wahrt man deutlich Distanz. SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann fleht fast um Verständnis, dass man den Hauptausschuss einsetzt, der nun bis zur Regierungsbildung die wichtigsten parlamentarischen Aufgaben erledigen soll. Und nicht gleich alle Ausschüsse, wie die Opposition fordert.
Bei einem normalen Lauf der Dinge, so Oppermann, hätte es schon in der kommenden Woche die Kanzlerwahl und die Einsetzung der Ausschüsse gegeben. Das wird jetzt erst kurz vor Weihnachten geschehen, sollten die SPD-Mitglieder dem Koalitionsvertrag dann zugestimmt haben. Seine Partei wage aber mit ihrer Mitgliederbefragung ein "demokratisches Experiment", erklärt Oppermann.
Ein Experiment, das auf Kosten des Bundestages geht. So sieht es die Opposition. Alle bisherigen Sondersitzungen und eine Fragestunde seien von den Grünen beantragt worden, schimpft deren Parlamentsgeschäftsführerin Britta Haßelmann. "Sonst hätten Sie sich doch weiter mit sich beschäftigt."Auch die Union gefordert



Nun ist es allerdings nicht so, dass allein die SPD-Parlamentarier in ihren Wahlkreisen Überzeugungsarbeit leisten müssen. Auch die der Union sind gefordert. Viele haben in den nächsten Tagen Kreisparteitage, auf denen es um den Koalitionsvertrag geht. Außerdem haben sie nicht nur Gratulationsmails bekommen. Auch die Frage nach der Handschrift der Union wird von der Basis gestellt. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hat deshalb 60 000 Werbebriefe an die Funktionsträger seiner Partei geschickt. Dazu ein Papier mit zehn Punkten, wofür die CDU in der großen Koalition steht. Anders als SPD-Chef Sigmar Gabriel wird Angela Merkel dem Vernehmen nach nicht auf Werbetour bei ihrer Basis gehen. Braucht die Kanzlerin auch nicht, schließlich entscheidet lediglich ein kleiner Parteitag am 9. Dezember über den Vertrag. Sein Ja gilt als sicher. Merkel ist im Bundestag dabei, Gabriel nicht. Auch sie verfolgt die Debatte so, wie alle anderen - müde.

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