Treffen der EU-Agrarminister Der weite Weg zum Tierwohl-Kennzeichen

Koblenz · Agrarrat in Koblenz: Bei den EU-Ländern zeichnet sich eine Ost-West-Spaltung ab. Bis zur nächsten Agrarreform wird es lange dauern.

 Mit einem Scherbenhaufen aus Weinflaschen demonstrieren Landwirte und Umweltschützer gegen die EU-Landwirtschaftspolitik.

Mit einem Scherbenhaufen aus Weinflaschen demonstrieren Landwirte und Umweltschützer gegen die EU-Landwirtschaftspolitik.

Foto: dpa/Thomas Frey

Wenn sich die EU-Landwirtschaftsminister alle sechs Monate zum informellen Agrarrat treffen, dann geht es immer auf den Acker. Und für die Winzertochter Julia Klöckner (CDU) war selbstverständlich, dass sie „ihren Agrarrat“ im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in die weinreiche Heimat Rheinland-Pfalz verlegt. In den Winninger Uhlen, wo der Moselriesling seit Jahrhunderten in Steillagen wächst, führt die deutsche Landwirtschaftsministerin ihren Kollegen Innovationen vor. Da surrt eine Drohne anderthalb Meter über den Weinstöcken und demonstriert, wie mit neuester Technologie zielgenau gegen Mehltau gespritzt und so das Verwehen der Pflanzenschutzmittel drastisch gesenkt werden kann. Auch eine vollautomatische Erntemaschine „Made an der Mosel“, die vorsichtig und genau die Reben pflückt und von der weltweit 20 im Einsatz sind, wird vorgeführt.

Doch die Minister machen auch die Erfahrung, dass die reale Lage der Bauern ernüchternd sein kann: Die 20 000 Euro teure Drohne ist in der EU noch nicht zugelassen. Die Vollerntemaschine für den Steilhang kostet als komplettes System rund zwei Millionen Euro und dürfte damit nur in das Budget der wenigsten Winzer passen. Hunderte von Bauern machen zudem mit Hupkonzerten ihrer Schlepper dem Unmut über die Agrarpolitik lautstark Luft.

Klöckner will aus Corona Lehren für die Landwirtschaft ziehen: „Die Arbeit unserer Bauern ist systemrelevant.“ Zwei Stunden diskutiert sie mit ihren Kollegen auch über die Frage: „Wie machen wir die Lieferketten robuster gegen Krisen?“ EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski bekommt  den Auftrag, wissenschaftlich zu analysieren, in welchen Bereichen neben Futter- und Tierarzneimittel Handlungsbedarf besteht.

Das Treffen findet zu einem Zeitpunkt statt, wo die Weichen für die Agrarpolitik für die Jahre 2023 bis 2027 neu gestellt werden. Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs hatte im Juli beschlossen, dass Europas Bauern in der Summe mit den gleichen Geldbeträgen aus Brüssel rechnen können wie in der letzten Förderperiode. Allerdings können sie mit dem Geld weniger anfangen, weil es keinen Inflationsausgleich gibt. Die beiden Co-Gesetzgeber der EU, die Agrarminister der 27 EU-Staaten sowie das Europa-Parlament, müssen nun klären, welche Kriterien die Bauern erfüllen müssen, damit sie die rund 400 Milliarden Euro in einem Sieben-Jahres-Zeitraum aus Brüssel bekommen. Es geht vor allem darum, wie die Landwirtschaft grüner wird, wie der Einsatz von Pflanzenschutz und Kunstdünger reduziert und die Biolandwirtschaft gesteigert werden kann. Die Agrarminister fordern die Kommission auf, erst eine Folgenabschätzung vorzunehmen, bevor es die angekündigten Vorschriften für eine Verringerung von Düngemittel und Pflanzenschutz gibt.

In Koblenz steht die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zwar offiziell nicht auf der Tagesordnung. Doch beim Besuch im Weinberg, beim Dinner im Kürfürstlichen Schloss nutzten die Minister die Gelegenheit, um Allianzen festzuzurren. Wieder einmal zeigt sich die von anderen Politikfeldern bekannte Ost-West-Spaltung: Deutschland, Frankreich, Niederlande, Spanien setzen sich dafür ein, die Direktzahlungen an noch mehr umweltschonende Maßnahmen wie Blühstreifen, Hecken und Abstandsflächen zu Gewässern zu knüpfen als bisher. Davon wollen Polen, Tschechien, Ungarn, Slowakei nichts wissen. Diese Staaten stehen bei einem weiteren Thema auf der Bremse, das Klöckner wichtig ist. Klöckner möchte EU-weit ein Tierwohl-Kennzeichen durchsetzen, das Auskunft gibt über Standards bei Haltung, Transport und Schlachtung. Die Osteuropäer sind zu einer EU-weiten Einführung noch lange nicht bereit.

Joachim Ruckwied, Chef des deutschen sowie des europäischen Bauernverbands, schlug einen Bogen von der Corona-Krise zur nächsten Agrarreform: „Die Bauern Europas konnten die Lebensmittelversorgung von 450 Millionen Menschen auch deswegen sicherstellen, weil wir mit den notwendigen Methoden arbeiten können und unser Beruf uns ein Auskommen ermöglicht. Das sollten die Leitlinien für die Entscheidungen über die GAP-Reform sein.“

Ruckwied zeigte zum einen Verständnis für die Proteste: „Maßnahmen der Politik wie die Düngeverordnung und das Aktionsprogramm Insektenschutz lösen Zukunftsängste aus.“ Er distanzierte sich aber von drastischen Formen des Protestes und sicherte den Agrarministern den Dialog zu: „Wir sind überzeugte Demokraten und Europäer und müssen am Verhandlungstisch unsere Interessen durchsetzen.“

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