Treffen einer tief gespaltenen Partei

Berlin · Gregor Gysi, der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, befürchtet ein Auseinanderbrechen der Linkspartei. Das erklärte er gestern.

Berlin. Bei dem Treffen der 550 Parteitagsdelegierten am Wochenende in Göttingen ist tatsächlich alles möglich. Zwölf Kandidaten bewerben sich um die zwei Vorsitzendenposten, sechs davon ernsthaft. Das Prekäre: Fast jeder der Bewerber hat erklärt, mit bestimmten anderen Bewerbern auf keinen Fall zusammenarbeiten zu wollen. Radikale Fundamentalisten und Reformer beharken sich bis aufs Messer, Hass und Ablehnung prägen die Diskussion. Im Hintergrund steht die Frage, wie radikal die Partei sein soll und ob sie, zum Beispiel in Koalitionen mit der SPD, auch Kompromisse machen darf.
Oskar Lafontaine sowie seine Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht auf der Fundi-Seite, der frühere Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch auf der Realo-Seite, das sind die Antipoden. Vermittelnde Führungspersönlichkeiten gibt es kaum, außer Gysi, der aber nicht Vorsitzender werden will. Der Konflikt hat schon Zerstörungen angerichtet. So hat Oskar Lafontaine seine Kandidatur enttäuscht zurückgezogen; seine bisherige Freundschaft zu Gysi ist zerbrochen.
Aber die Linke ist fünf Jahre nach dem Zusammenschluss der westdeutschen WASG und der ostdeutschen PDS nicht nur politisch tief gespalten, sondern weiterhin auch regional. Die Ost-West-Struktur ist so dominant wie in keiner anderen Partei. Drastisch ist der Unterschied bei den Mitgliedszahlen. Obwohl die neuen Länder inklusive Berlin lediglich 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, kommen über 62 Prozent der Linkspartei-Mitglieder aus ihnen. Noch stärker ist die Ost-Dominanz bei den weiblichen Mitgliedern mit fast 74 Prozent. Wegen der mit dem Zusammenschluss begründeten Übergangsbestimmungen in der Satzung stellen die westlichen Landesverbände beim Göttinger Parteitag allerdings mit 228 überproportional viele Delegierte (41 Prozent). Der Osten schickt 272 (49 Prozent) Vertreter, 50 kommen aus Arbeitsgemeinschaften.
Unterschiedliche Erfolge


Auch die politischen Erfolge sind höchst unterschiedlich. In den zehn alten Ländern verfügt die Linke derzeit gerade mal über 37 Landtagssitze, in den sechs neuen Ländern inklusive Berlin sind es hingegen 141. Aktuell sitzt die Partei in einem Ost-Land, Brandenburg, mit in der Regierung, in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Sachsen-Anhalt trug sie in der Vergangenheit zeitweise Regierungsverantwortung. In den neuen Ländern dominieren Realpolitiker und Reformer die Partei, in den alten ehemalige Mitglieder marxistischer Splittergruppen sowie Gewerkschafter. Noch drastischer ist der Unterschied auf der Ebene der hauptamtlichen kommunalen Mandatsträger. Hier hat die Linke sämtliche Erfolge im Osten Deutschlands errungen, wo sie fünf Landräte, sieben Oberbürgermeister und 47 Bürgermeister stellt. Nur im Saarland konnte sich ein hauptamtlicher Wahlbeamter der Partei einmal durchsetzen, ein Beigeordneter in Saarbrücken.
Die Unterschiede spiegeln sich auch in der Zahlungsmoral wider. Im Osten beträgt der Durchschnittsbeitrag eines Linkspartei-Mitgliedes 13,64 Euro, in den alten Bundesländern hingegen 5,59 Euro, also weniger als die Hälfte. Ganz erklärbar ist das nicht. Zwar ist die WASG im Westen aus Arbeitsloseninitiativen und Protestgruppen gegen Hartz IV hervorgegangen, doch ist die Arbeitsmarktlage dort viel besser und das Durchschnittseinkommen höher. Die gezahlten Beiträge beruhen auf der Selbsteinstufung nach der Beitragstabelle. Und da entsprechen die von den Westmitgliedern gezahlten 5,59 Euro einem Einkommen von nur 500 bis 600 Euro.
"Es wäre wünschenswert, wenn künftig alle Mitglieder gemäß Beitragstabelle zahlen würden", beschloss der Vorstand in einem Papier zur Zukunft der Partei. Es trägt die optimistische Bezeichnung "Die Linke 2020".

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